Der Fluch von Colonsay
aber noch. Es kann sein, dass es einfach noch nicht Klick gemacht hat.«
Leicht gesagt. Rosamund lief ein Schauder nach dem anderen über den Rücken. Vergebung? Für den Geist?
Zephyr sprach mit Kerry, und Rosamund versuchte, sich auf das Gesagte zu konzentrieren. »Gary hat große Fähigkeiten, aber Mühe mit der Kontrolle. Im Augenblick ist er wie ein großer Schwamm, der alle im Haus gefangenen Gefühle aufsaugt. Mit der Zeit könnte er lernen, sich zu schützen. Und herausfiltern, was er wissen will.« Sie schenkte Gary ein mitfühlendes und, wie Rosamund fand, ziemlich enttäuschtes Lächeln. »Leider kommt es mir so vor, als ob er den Kontakt mit der Geisterwelt nicht besonders schätzt. Oder irre ich mich da, Gary?«
»Nein, Zephyr. Als Zauberlehrling bin ich denkbar ungeeignet.«
Sie tranken Tee und aßen Kuchen. Mit der Zeit kehrte die Farbe in Zephyrs Gesicht zurück. Rosamund fiel auf, dass Zephyr genauso aussah wie sie selbst nach einer Begegnung mit einem Geistwesen. Beim Abschied blieb Zephyr an der Haustür stehen und nahm Rosamunds Hand. Ihre Finger fühlten sich kühl und kräftig an. Ein leichtes Prickeln durchzuckte Rosamunds Arm.
»Machen Sie sich keine Sorgen wegen des Mannes, der gleich kommen wird«, sagte sie bestimmt. »Er kann Ihnen nichts anhaben. Sie sind schon zu stark für ihn.« Bevor Rosamund noch eine Frage stellen konnte, rannte sie durch den Regen zu Garys Wagen.
Gary zögerte. »Ich komme später noch mal vorbei. Geht es so lange allein?«
»Ich glaube schon. Ich denke langsam, ich komme mit allem zurecht. Nicht so schlecht für eine gescheiterte Ehefrau.« Tränen kullerten aus ihren Augen, und sie fühlte sich völlig ungeschützt.
Gary betrachtete sie eingehend. »Du bist nicht gescheitert, Rose. Du bist die mutigste Frau, die ich kenne.« Dann beugte er sich vor und küsste sie ganz sanft auf die Lippen, bevor er Zephyr zum Auto folgte.
»Wir haben Zeit für eine Kleinigkeit zum Mittagessen, bevor dein Besucher auftaucht«, rief Kerry aus der Küche.
»Mach lieber was Ordentliches«, sagte Rosamund und schloss die Tür.
***
Colonsay lag im Dunkeln. Alice hatte lange auf den Stufen zum Dachboden gesessen und gehofft, dass Bertie käme. Doch er war nicht gekommen. Sie sehnte sich danach, mit ihm zu sprechen, aber er machte keinerlei Anstalten dazu. Keine ernsthaften jedenfalls. Er hielt Abstand. All das, was ihn so außergewöhnlich machte, schien tief in seinem Innersten verschlossen.
Im Kinderzimmer ertönte lautes Weinen. Dem Schluchzen nach konnte das nur Ada sein.
»Bauchweh von zu vielen Pfefferminzbonbons«, murmelte Ada zu sich selbst. Am Nachmittag war Ada in Ungnade gefallen und von ihrem Vater ins Kinderzimmer geschickt worden, weil sie ihren Unterricht geschwänzt hatte und dann in den Ställen beinahe von einem Pferd getreten worden wäre.
Ambrosine war nach ihrem Ausritt mit wirrem Blick und völlig aufgelöst ins Haus gestürzt, Ada im festem Griff ihrer behandschuhten Hand. Adas Knie war blutig von einem Sturz auf den Stallboden, der sie vor den Hufen des Pferdes gerettet hatte. Die Sorge ihrer Mutter hatte Ada jedoch nicht vor dem Zorn ihres Vaters geschützt. Als sie in der Halle an Alice vorbeigezerrt worden war, hatte sie ihr kleines bleiches Gesicht mit der vorgeschobenen Unterlippe gesenkt gehalten. Weder hatte sie etwas Hässliches zu Alice gesagt noch sie gekniffen – sonst ließ sie sich eine solche Gelegenheit nie entgehen.
Nun vernahm Alice das beruhigende Murmeln des Kindermädchens. Langsam beruhigte sich Adas Schluchzen. Die Uhr in der Halle schlug zur vollen Stunde. Ein Uhr. Bertie würde nicht mehr kommen. Mit einem Seufzen erhob und streckte sich Alice. Ihr Körper war vom Sitzen in der Kälte ganz steif geworden. Vor zwei Wochen hatte sie auf einem Ausflug mit ihren Eltern nach Portarlington eine Muschel gefunden. Sie hatte sie mitgenommen, um Bertie zu fragen, was für ein Exemplar das sei. Als Vorwand, um endlich mit ihm zu sprechen. Anscheinend brauchte sie derzeit solche Ausreden.
Alice schlüpfte in den Ostflügel hinüber und hielt inne, um zu lauschen. Nichts. Von Ambrosine war heute Nacht nichts zu sehen. Mr Marling befand sich in Melbourne, und so hatte sie keinen Grund, im Dunkeln durchs Haus zu schleichen. Alice stieg die Treppe hinauf.
Auf ihrem Bett lag eine zweite Decke. Mrs Gibbons hatte sich besorgt darüber geäußert, dass Alice’ und Meggys Zimmer nachts so kalt war. Sie würde zwei zusätzliche Decken für
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