Der Fluch von Melaten
wie arme Sünderinnen. So gut es möglich war, hielten sie ihre Köpfe erhoben, um dem Pfarrer und Mönch in die Augen zu schauen.
Auch er sah sie eine Weile an und blieb dabei stumm. In seinen Augen leuchtete etwas, das kaum zu beschreiben war. Es konnte Vorfreude sein. Vielleicht war es auch die Erinnerung an die Phasen der schrecklichen Folter, die er so hautnah miterlebt und an der er sich ergötzt hatte.
Auch jetzt leckte er wieder über seine feuchten Lippen und faltete die Hände. »Der Herr ist allmächtig. Der Herr ist groß. Der Herr ist gerecht«, sagte er mit salbungsvoller Stimme. »Der Herr wird auch demjenigen gerecht, der seinen Sünden abschwört und sich in seinem Schoß zur Ruhe betten will.« Er nickte ihnen zu. »Wenn ihr auf die Heilige Schrift schwört und den Satan verflucht, dann wird sich der Himmel öffnen, und es werden euch die Engel die Hände entgegenstrecken, um für euch am Thron des Allmächtigen um Gnade zu bitten.« Seine Stimme nahm an Lautstärke und Schärfe zu. »Deshalb schwört dem Satan ab. Hier an dieser Stelle und unter den Gerechten.«
Es war ein Spiel, das dem Mönch Spaß machte. Er wusste, dass sie ihm nicht folgen würden, aber er brauchte einfach die Schau, denn er wollte als der Gerechte dastehen.
Die drei Frauen erwiderten nichts!
Selbst die zahlreichen Zuschauer hielten sich mit ihren Aussagen zurück. Sie spürten die Spannung, die sich ausgebreitet hatte und immer mehr verstärkte, weil eben Zeit verging.
Hin und wieder schnaubte ein Pferd. Es war das einzige Geräusch in dieser Stille.
Der Wind trieb einen schalen und ekligen Geruch von der nahen Peststation herbei. Es roch nach Rauch, aber auch nach verbranntem Fleisch.
Zwei dunkle Vögel bewegten sich heftig flatternd über den Platz des Todes hinweg. Sie krächzten dabei, als wollten sie das Lied des Todes anstimmen.
Der Mönch ließ sich bewusst Zeit. Er legte den Kopf schief und versuchte, einen gütigen Ausdruck auf sein Gesicht zu zaubern, was ihm die meisten Menschen abnahmen, nicht jedoch die drei Hebammen.
»Nun, ich warte auf Antworten.«
Die Frauen drehten ihre Körper so, dass sie sich anschauen konnten. Sie gaben keine Antwort, aber der Geistliche sah, dass sie sich mit Blicken verständigten, und das passte ihm irgendwie nicht so ins Geschäft. Auch zeigten sie keine Angst, sie lächelten sogar, was den Bärtigen auf die Palme brachte.
»Eure Teufelshände werden nie mehr die Körper unschuldiger Kinder anfassen. Nie mehr. Das heilige Feuer wird euch vernichten, und der Wind wird eure Asche in alle Richtungen verstreuen. Ihr werdet nur noch Erinnerung sein, nicht mehr. Erinnerung an drei Weiber, die mit dem Satan gebuhlt haben.«
Bisher hatten sich die Frauen nur angeschaut. Jetzt, nachdem der Mönch seine Hasstirade beendet hatte, nickten sie sich zu. Der Geistliche sah es als Zeichen für die Richtigkeit seiner Worte an. Er trat sogar noch einen Schritt näher, und genau das hatten die drei Hebammen gewollt. Es war ihnen in der Zwischenzeit gelungen, so viel Speichel wie möglich zu sammeln.
Gemeinsam spien sie ihn an!
Der Vertreter der Kirche tat nichts. Er konnte nichts tun. Die Masse klatschte in sein feistes Gesicht. Für einen Moment blieb sie an den verschiedenen Stellen kleben, dann rann das Zeug in langen Bahnen nach unten.
Der Mönch war geschockt. Er stand auf der Stelle und zitterte. Selbst die Zuschauer gaben keine Kommentare ab, so stark waren sie von der Reaktion der Hebammen überrascht worden.
Dann aber fing sich der Vertreter des Klerus wieder.
Er brüllte auf, als hätte ihm der Leibhaftige persönlich einen Dreizack in den Allerwertesten gestochen. Unter dem noch immer nach unten rinnenden Speichel lief sein Gesicht vor Wut rot an, und als er beim Schreien den Mund öffnete, rann etwas von dem Zeug dort hinein.
Das Gebrüll hallte über den großen Platz. Er schüttelte sich. Er war wie von Sinnen. Zwei Vertreter des Gerichts liefen auf ihn zu und packten ihn.
»Hochwürden, Ihr...«
Sie konnten nichts mehr sagen, denn die keifende Stimme übertönte sie. »Auf den Scheiterhaufen mit ihnen! Auf den Scheiterhaufen! Ich will sie brennen sehen – brennen!«
Genau darauf hatten die Knechte und Häscher gewartet. Bevor sich die Hebammen versahen, wurden sie gepackt und weggeschleift. Wehren konnten sich die Frauen nicht, und in ihren Ohren gellten auch weiterhin die Schreie des bärtigen Mönchs, die ihren Weg zu den Plätzen des Todes
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