Der Flug der Adler
obwohl es später Nachmittag war und die Dämmerung nahte. Dann brach die Dunkelheit herein, und der Vollmond spendete weiterhin genügend Licht. Aber jetzt war es kalt. Mein Gott, war das kalt.
Als die Rettung kam, war es wie ein Wunder. Max hörte zuerst Glocken klingeln, und dann kam eine Karawane über eine Sanddüne getrottet. Drei der sechs Kamele waren mit Waren bepackt; auf den drei anderen saßen Reiter. Die Männer sahen aus, wie man sich die Wüstenbeduinen vorstellt. Ihr Anführer hob eine Hand, und die Karawane hielt an. Er ritt vor, und Max nahm die Schmeisser aus der Tasche und lud durch. An dem Patronenmagazin war mit Band ein zweites angeklebt. Seine Kenntnisse der arabischen Sprache beschränkten sich auf das Wesentliche – vorsichtig ausgedrückt.
Der Beduine rief ihm in dessen Sprache zu: »He, Effendi, auf wessen Seite?«
»Ich bin Deutscher«, sagte Max auf deutsch.
»Nicht gut.« Der Beduine versuchte es auf englisch. »Verstehen Sie Englisch, Effendi?«
»Aber sicher!«
»Wer sind Sie?«
»Ein Pilot. Bin abgeschossen worden. Wenn Sie mich zu deutschen Stellungen bringen, bekommen Sie eine große Belohnung.« Einer der anderen rief irgend etwas auf arabisch, und der Anführer rief etwas zurück. »Was hat er gesagt?« fragte Max.
»Daß wir Sie töten sollen, Effendi.«
»Sie mögen die Deutschen nicht?«
Der Mann zuckte die Achseln. »Wir ergreifen keine Partei. Ihr kommt hierher, ihr, die Engländer und die Franzosen, und bekriegt euch gegenseitig in unserem Land. Wir wollen nur, daß ihr bald verschwindet.«
»Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werden wir das auch tun, aber lassen Sie mich Ihrem Freund antworten.« Max gab aus der Schmeisser eine Salve ab, die den Sand aufspritzen ließ.
»Sehr eindrucksvoll, Effendi.«
»Wie heißen Sie?«
»Rashid.«
»Ich kann noch viel eindrucksvoller sein.« Max griff in die
Tasche seiner Überlebensausrüstung und holte einen Lederbeutel hervor, den er hinüberwarf. »Fünfundzwanzig englische Sovereigns. Mehr Goldstücke als Sie in einem ganzen Jahr verdienen.«
Rashid wog den Beutel in der Hand. »Stimmt.«
Max zog einen weiteren Beutel hervor. »Weitere fünfundzwanzig, wenn Sie mich zu den Stellungen bringen oder einer deutschen Patrouille übergeben.«
Rashid lächelte. »Ich glaube, das läßt sich machen. Wir sind näher an einer Stellung, als Sie denken. Zuerst müssen wir aber ein paar Lastballen umpacken, um für Sie Platz zu schaffen. Dann reiten wir noch zwei Stunden, bevor wir unser Lager aufschlagen.«
»Na, dann sollten wir am besten keine Zeit verlieren.«
Als er später, um ungefähr zwei Uhr morgens, bei einem Lagerfeuer aus getrocknetem Kameldung saß, hatte er plötzlich das Gefühl, als ob sich da im Dunkeln irgend etwas bewegte. Er griff nach der Schmeisser, aber da kam bereits eine dunkle Gestalt auf ihn zugeflogen. Eine weitere finstere Gestalt war jedoch gleich dahinter: Rashid legte eine Hand über den Mund des Mannes, ein kurzes Ächzen und Stöhnen, und dann wischte Rashid das Messer an dem Umhang des Mannes ab und ließ ihn fallen.
»Ich bitte um Verzeihung, Effendi. Er war von Stamm der Hakim. Hätte ihm lieber keine Arbeit geben sollen. Keine Ehrgefühl, diese Hunde.«
»Hat ganz den Anschein«, sagte Max kühl.
Rashid stocherte kurz im Feuer, setzte sich und holte Datteln und Kamelmilch hervor. Der noch verbliebene Beduine gesellte sich zu ihnen, ohne der Leiche irgendwelche Beachtung zu schenken.
»Ehre!« sagte Rashid, während er aß. »Wenn ein Mann keine Ehre hat, hat er gar nichts. Sie ist das, was er ist. Durch sie sieht und beurteilt er sich selbst.«
»Sie haben recht«, sagte Max. »Voll und ganz recht, verdammt noch mal. Es geht nicht um das, was die anderen denken. Es geht um das, was man selbst von sich denkt. Hier, nehmen Sie eine Zigarette. Oder behalten Sie von mir aus gleich die ganze Schachtel.«
Rashid und sein Begleiter strahlten übers ganze Gesicht. Max nahm eine kleine Flasche Weinbrand aus seiner Tasche, öffnete sie und trank davon. »Ich würde euch ja gern einen Schluck anbieten, aber als Moslems trinkt ihr wohl keinen Alkohol.«
Rashid langte nach der Flasche. »Die Nacht ist kalt, Effe ndi, und Allah ist gnädig.«
Am nächsten Morgen um sechs Uhr stießen sie auf eine Panzerspähpatrouille. Der junge Leutnant war völlig aus dem Häuschen.
»Haben Sie ein Glück, Herr Hauptmann. Was
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