Der Flug der Adler
sie auch schon vor ihrer Wohnungstür. Sie schloß auf, und sie gingen hinein.
Sarah nahm ihren Mantel ab und öffnete die Verdunkelungsvorhänge. Ein wenig Licht drang herein, in der Ferne war der Flammenschein zu sehen und das Donnern der explodierenden Bomben zu hören.
»Ich glaube nicht, daß Sie es heute nacht noch nach Ennismore Mews zurückschaffen«, sagte sie.
»Erlauben Sie mir eine Frage«, sagte er. »Gibt es einen Mann in Ihrem Leben?«
»Würde das etwas ändern?«
»Nicht im geringsten.«
»Sie scheinen mir wirklich ein Schuft zu sein. Nein, es gibt keinen.«
Er stellte sich hinter sie, legte ihr die Arme um die Hüften und küßte sie auf den Nacken.
»Das tut gut«, sagte sie. »Aber noch viel besser wär's im Bett, findest du nicht?«
Es war der Beginn einer außergewöhnlichen Freundschaft. Sie hatte eine seltsame Art, war extreme Leidenschaft und völlige Beherrschung zugleich. Die beiden kamen regelmäßig zusammen. Nebenher gab es für ihn natürlich auch andere Frauen – das war eben so seine Art. Sie wußte das, aber es störte sie keineswegs.
Im Januar schneite es in Sussex, und Harry, der des öfteren zu Patrouillenflügen aufstieg, fühlte sich irgendwie an Finnland erinnert. Auch in Frankreich schneite es, wo Galland, Max und überhaupt die Luftwaffe die erbarmungslosen Luftangr iffe auf England mit unvermindertem Druck fortsetzten.
Es war während einer jener Angriffe Ende Januar – die UBahn war wegen Bombenschäden geschlossen –, daß Sarah Dixon zu Fuß vom Heeresministerium nach Hause ging. Es war bereits dunkel, und alles war vo n einer dünnen Schneeschicht überpudert. Sie schob sich behutsam durch die mit Schutt und Geröll übersäten Straßen, als plötzlich Sirenengeheul anhob.
Die Leute auf den Straßen gerieten in Panik und rannten wie von Sinnen durch die Gegend. Die Menschen schrien, und nicht wenige bibberten vor Angst. Ganz in Sarahs Nähe fielen Bomben, Scheiben wurden zerschmettert, und dann schlug eine Bombe unmittelbar am Ende der Straße ein. Sarah Dixon nahm alles andere um sie herum nicht mehr wahr, denn die Druckwelle der Explosion war so stark, daß sie beinahe davongeweht wurde.
Sie hatte entsetzliche Schmerzen, soviel war ihr klar, als sie wieder aus ihrer Ohnmacht erwachte. Zeit, für eine Bestandsaufnahme. Sie versuchte, sich aufrecht hinzusetzen, und da wurde ihr plötzlich bewußt, daß sie im Bett eines Krankensaals lag. Eine Krankenschwester kam auf sie zugerannt.
»Nanu, das lassen wir lieber, legen Sie sich wieder schön hin.« Die Krankenschwester schob sie sanft zurück und rief: »Doktor Sobel!«
Eine junge Ärztin in einem weißen, zerknitterten Kittel kam herein. Sie fühlte Sarah den Puls und hörte ihr Herz ab.
»Wo bin ich?«
»Im Cromwell Hospital. Sie sind bereits seit zwei Tagen hier. Bombe der Deutschen. Sie haben noch mal Glück gehabt.«
Sarah bemerkte die Krücke die neben ihrem Bett lag. »O Gott, ich habe ein Bein verloren.«
»Nein, Sie sind nur ein bißchen verletzt. Wird alles wieder werden.« Molly Sobel wandte sich an die Krankenschwester. »Rufen Sie wieder diesen Mann an. Seine Nummer steht in der Krankenakte.«
»Wer soll das sein?« fragte Sarah Dixon schwach.
»Ein Mr. Rodrigues. Wir haben in Ihrer Brieftasche eine Visitenkarte von ihm gefunden. Er ist gestern sofort gekommen.«
Innerhalb einer Stunde war er da. Er machte einen tiefbesorgten Eindruck. Irgendwie hatte er es geschafft, Weintrauben aufzutreiben. »Die besten, die auf dem Schwarzmarkt zu haben waren«, sagte er und gab ihr einen Kuß. »Du siehst aus, als hätte dich jemand zusammengeschlagen, aber es könnte schlimmer sein.«
»Mein Bein, darum mache ich mir Sorgen.«
»Wird schon alles wieder. Komm, ich hol dir was zu trinken.«
Er machte sich auf den Weg zum Stationszimmer. Molly Sobel saß gerade am Schreibtisch und schrieb etwas. Eine Krankenschwester war auch anwesend. »Könnte ich eine Tasse Tee für sie bekommen?« fragte er.
»Natürlich, werd mich gleich drum kümmern.«
Die Krankenschwester ging hinaus, und Rodrigues wandte sich an Molly: »Sie macht sich Sorgen wegen des Beins. Wie steht es denn Ihrer Meinung nach wirklich darum?«
»Sieht nicht so gut aus.« Molly zündete sich eine Zigarette an. »Der Chefchirurg hat eine Edelstahlplatte eingesetzt und ein paar Nägel. Der Knochen war zerschmettert. Um ehrlich zu sein, sie ist nur
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