Der Flug der Adler
mit Zec
in der uralten, von Balken durchzogenen Bar zurück, setzte mich
vor das lodernde Kaminfeuer und hielt mich an einem äußerst
großzügig eingeschenkten Glas Bushmills schadlos.
Er setzte Tarquin auf ein Sims in der Nähe des Kamins. »Lassen wir ihn von selbst trocken werden.«
Er holte ein Zigarettenetui hervor
und nahm sich eine. »Bedeutet Ihnen der Bär denn
viel?« sagte ich.
»O ja.« Er nickte. »Und nicht nur mir. Mehr als Sie sich denken können.«
»Dann erzählen Sie mal.«
Er schüttelte den Kopf.
»Später, wenn Ihre Frau wieder bei uns ist. Tolles
Mädchen, alle Achtung. Sie sind wohl 'n Tick älter als sie,
was?«
»Fünfundzwanzig
Jahre«, sagte ich. »Aber nach fünfzehn gemeinsamen
Jahren muß es uns wohl irgendwie gelungen sein, die Dinge in die
richtige Bahn zu lenken.«
»Man darf die Dinge nicht
überstürzen«, sagte er. »Habe ich im Krieg
gelernt. Zu jener Zeit wurde viel gestorben.«
»Waren Sie bei der Marine?«
»Nur das erste Jahr, dann hat
man mich zum Bootsführer auf 'nem Rettungsboot abkommandiert.
Damals war das eine Vollzeitbeschäftigung. Torpedierte Schiffe,
jede Menge Piloten, die in den Ärmelkanal abgestürzt sind.
Nein, der wirkliche Krieg zur See ist an mir vorbeigegangen.«
Wie sich später herausstellte, vermittelte er
damit einen völlig falschen Eindruck. Der Mann war nämlich im
Laufe des einen Jahres bei der Marine mit der Kriegsverdienstmedaille
ausgezeichnet worden, ferner mit dem Georgskreuz, dem MBE und mit vier
Goldmedaillen der Rettungsgesellschaft für seine
außergewöhnlichen Verdienste innerhalb dieser ehrenvollen
Organisation.
»Auf dem Schild draußen
vor der Wirtschaft ist ein junger Mann abgebildet, der mit gefesselten
Füßen kopfüber an einem Seil hängt«, sagte
ich. »Das ist eine Tarot-Figur, oder? Ich glaube, sie steht
für Regeneration.«
»Ach, ja, das hat damals
während des Weltkriegs Julie Legrande gemalt. Wirtschafterin des
Gutshauses, und das Pub hat sie damals auch geführt. Wir
mußten das Schild über die Jahre immer mal wieder neu
streichen, aber es ist immer noch so, wie Julie es gemalt hat.«
»Französin?« fragte ich.
»Vor den Nazis
geflüchtet.« Er stand auf. »Sie gehören nun aber
auch in die Badewanne. Was sind Sie eigentlich von Beruf, wenn ich
fragen darf?«
»Ich bin Schriftsteller«, sagte ich.
»Habe ich vielleicht schon von
Ihnen gehört?« Ich nannte ihm meinen Namen, und er lachte.
»Na, schon, glaube ich. Sie haben mir über die eine oder
andere schwere Nacht hindurchgeholfen. Freut mich, Sie kennenzulernen.
Tja, wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden …« Und
dann ging er davo n.
Ich blieb noch kurz sitzen und dachte
nach. Hier folgte ein Geheimnis aufs andere. Die Auflösung
würde bestimmt interessant werden.
Wir aßen in einer Ecke des Pubs zu Abend
– Seebarsch, Frühjahrskartoffeln und dazu Salat – und
tranken danach mit Zec und Simeon eine eisgekühlte Flasche
Chablis. Denise und ich waren in Jeans und Pullovern gekleidet, die man
uns netterweise zur Verfügung gestellt hatte. An der Theke waren
vielleicht acht Fischer, von denen zumindest drei zur Besatzung des
Rettungsboots gehörten. Im Kamin loderte das Feuer, der Regen
prasselte gegen die Fenster, und Tarquin dampfte vor sich hin.
»Als ich klein war, hat mir
mein Vater immer von Tarquin dem fliegenden Bären
erzählt«, sagte Simeon. »Hab das ganze immer für
ein Märchen gehalten.«
»Dann bist du ja jetzt endlich
eines Besseren belehrt worden«, sagte Zec. »Du solltest mir
in Zukunft einfach glauben, Junge.« Er wandte sich Denise zu.
»Erzählen Sie mir doch, woher Sie ihn haben.«
»Aus einem
Antiquitätenladen in Brighton. Das war vor ein paar Jahren«,
sagte sie. »Man hat uns dort erzählt, daß der Bär
mit seinem Besitzer in der Luftschlacht um England geflogen ist. Den
Beweis dafür konnte dort allerdings niemand antreten. Mich hat
immer die Tatsache fasziniert, daß er außer dem
Royal-Air-Force-Pilotenabzeichen auch das Abzeichen des Royal Flying
Corps trägt, denn das stammt ja aus dem Ersten Weltkrieg.«
»Ja, das ist auch kein
Wunder«, sagte Zec. »Da ist er nämlich mit dem Vater
des Jungen zum ersten Mal in den Krieg gezogen.«
Es folgte ein kurzes Schweigen. Denise sagte zögerlich: »Dem Vater des Jungen?«
»Vor langer Zeit, 1917 in
Frankreich, aber das ist jetzt nicht wichtig.« Er nickte Simeon
zu. »Noch eine
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