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Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Titel: Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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beobachtet, mit welcher Liebe und Zärtlichkeit Charmaine Ryan mit Pierre gespielt hatte, und war zu seiner großen Überraschung zu der Überzeugung gelangt, dass der verwaiste Junge offensichtlich die beste Ersatzmutter gefunden hatte, die man sich wünschen konnte. Womöglich war die Gouvernante ja doch keine von Pauls üblichen Liebschaften. Nachdenklich rieb er sich den Nacken. Ob er die junge Frau falsch eingeschätzt hatte?
    Irgendwann war der Schmetterling vergessen, und stattdessen warf Pierre mit kleinen Steinchen. In der morgendlichen Kühle vermittelte Charmaine ein Bild der Ruhe, wie sie einfach nur still dasaß und den Jungen beobachtete. Doch in ihrem Innern überschlugen sich die Gedanken.
    Die Woche war sehr viel ruhiger zu Ende gegangen, als sie begonnen hatte. Seit dem Picknick am Dienstag war ihr manches klar geworden. Auf jeden Fall war es sinnlos, sich vor John verstecken zu wollen. Drei Tage lang hatte sie sich seitdem in Selbstbeherrschung und Zurückhaltung geübt, was nicht leicht gewesen war. Doch inzwischen gelang ihr immer öfter, einfach den Mund zu halten. Sie hatte auf die harte Art lernen müssen, dass Wortgefechte mit John nicht zu gewinnen waren. Dazu kamen seine Retourkutschen einfach zu schnell, und das nagte an ihr.
    Was Paul anging, so war er in den letzten Tagen ein wenig auf Distanz gegangen und hatte sich wieder in seine Arbeit gestürzt. Sie waren keinen Moment lang allein gewesen, was vermutlich am besten war. Auf keinen Fall wollte sie noch einmal von John, in den Armen seines Bruders liegend, überrascht werden. Trotz seiner vielen Arbeit hatte Paul jeden Abend am Dinner teilgenommen, wofür sie ihm dankbar war. Doch heute war er schon bei Tagesanbruch nach Espoir aufgebrochen und wurde erst spät zurückerwartet, sodass sie John beim Dinner wohl oder übel allein gegenübertreten musste.
    Die beschauliche Ruhe war augenblicklich dahin, als die Zwillinge aus dem Stall stürmten und rufend und winkend über die Wiese angerannt kamen. »Mademoiselle Charmaine, wollen Sie das neue Fohlen denn nicht streicheln?«
    »Ich denke, dass Mutter und Kind jetzt erst einmal Ruhe brauchen. Außerdem müssen wir ins Haus zurück und endlich etwas essen.«
    »Bitte, Mademoiselle, nur noch ein bisschen!«, bettelte Jeannette.
    »Wir müssen Johnny unbedingt erzählen, dass Phantom der Vater ist«, rief Yvette.
    »Phantom ist der Vater des Fohlens? Wirklich?«
    »Aber natürlich! Weshalb ist sein Fell denn sonst so pechschwarz?«
    »Tja, weshalb sonst?«, murmelte Charmaine.
    Nach dem ausgedehnten Frühstück begann Pierre zu quengeln, bis Charmaine ihn schließlich zu einem zeitigen Schläfchen ins Bett legte und dann die Mädchen noch einmal in den Stall begleitete. Das Fohlen war wahrlich eine Augenweide: überlange Beine und rabenschwarzes Fell. Es trank gerade zum ersten Mal, als George in den Stall zurückkam. Da Charmaine die Mädchen bei ihm gut aufgehoben wusste, kehrte sie ins Haus zurück, um nach Pierre zu sehen.
    Aber der Kleine lag nicht in seinem Bett. Rasch sah Charmaine ins Spielzimmer, aber dort war er auch nicht, dann in ihr Zimmer. Wieder nichts. Wo konnte er nur sein? Sie rannte zur Treppe und mahnte sich zur Ruhe. Pierre ging es mit Sicherheit gut. Er war wach geworden und aus dem Bett geklettert, um sie zu suchen. Ob er wieder in Pauls Räumen war?
    Doch das Geräusch von splitterndem Glas verriet, dass sie sich geirrt hatte. Es war vom anderen Ende des Korri dors gekommen, aus Colettes ehemaligem Salon, wo Pierre öfter gespielt hatte, bis man es ihm verboten hatte. Sekunden später war Charmaine an der Tür des Salons – und verfluchte ihr Glück, als genau in diesem Moment die gegenüberliegende Tür geöffnet wurde und die Herrin des Hauses die Räume ihres Mannes verließ.
    Agatha zog die Stirn kraus, doch als Kinderkichern an ihr Ohr drang, schubste sie Charmaine wütend zur Seite und stieß die Tür auf. Pierre krabbelte zwischen Glasscherben und Blumen auf dem Boden herum.
    »Du ungezogener Balg!«, zischte Agatha, stürzte sich auf den Jungen und riss ihn an den Armen in die Höhe. »Ich werde dich lehren, Dinge zu berühren, die dir nicht gehören!«
    Charmaine fiel ihr in den Arm. Vor Überraschung ließ Agatha den Kleinen los, der sich augenblicklich hinter seine Gouvernante flüchtete, sich zitternd gegen ihre Beine presste und das Gesicht in ihren Rockfalten vergrub.
    »Wie können Sie es wagen!«, empörte sich Agatha.
    »Ich … Es tut mir leid

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