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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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emotional geöffnet hat, intensiver hineinversetzen in das Gefühl, wie es ist, auf dem Podium zu sitzen und jede Erinnerung zu verlieren, das Gefühl, daß das Musikstück völlig weg ist und nicht wiederkommt, daß ein Vorhang herabkommt und mich, aus reiner Barmherzigkeit, vom Publikum trennen möge.

    Ich übe kleine Phrasen. Ich springe in die Stücke, die ich spielen muß, hinein und aus ihnen hinaus. Das bringt mich aus der Ruhe, daß ich plötzlich von Schwäche überfallen werde, daß ich zu zittern anfange. Ist das eine Panikattacke? Kann mir so etwas mitten im Konzert passieren?
    Am Abend, als Marianne bei mir ist, frage ich sie, beschreibe ihr das Gefühl, das ich habe. Sie wird ängstlich.
    »Du überforderst dich«, sagt sie. »Vielleicht ist das vorallem meine Schuld. Du hast jetzt einfach an zuviel zu denken.«
    »Du hast mir nur Kraft gegeben«, sage ich.
    Aber ich sehe an ihrem Gesicht, daß sie mir nicht glaubt, daß sie sich Sorgen macht.
    »Vielleicht sollten wir ab jetzt getrennt schlafen«, sagt sie. »Das fehlte gerade noch«, sage ich.

    In der Nacht ist sie mir so nahe wie früher. Immer noch sind wir fast wie Kinder, ohne Hemmungen und Grenzen. Aber in meinen Gedanken ist ein neuer Ernst, ein Respekt vor ihr. Ich betaste ihren Bauch. Er ist ein bißchen größer geworden. Da drinnen ist etwas. Wir liegen dann nebeneinander, streichen uns übers Haar, küssen uns auf die Wange.

    Am Montag vor dem Konzert gehe ich ein letztes Mal zu Selma Lynge. Sie ist streng und ernst, als wolle sie mich auf den Nervenschock vorbereiten, den ich in zwei Tagen durchleiden werde. Sie erzählt mir, daß die ersten ihrer Freunde bereits angekommen sind, daß sie im Grand Hotel abgestiegen sind. Daß sie mit ihnen am Abend vor dem Konzert essen gehen wird. Sie erzählt mir, daß ein bekannter Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in der Aula sein wird. Ebenso wie ein berühmter Impresario aus London. Alle sind ihre Freunde. Sie wird über mich nur Gutes sagen. Der Rest liegt jetzt bei mir.

    Ich spiele ihr das ganze Programm vor, mit Pause und allem. Sie sitzt in ihrem Stuhl und hört zu, ist aufmerksam für das geringste Detail.
    Danach habe ich das Gefühl, daß es gutgegangen ist.
    »Du hast es geschafft, das ganze Konzert mit nur zwei Patzern zu spielen«, sagt sie. »Das ist schön. Und denk daran, daß ein Patzer noch keine Katastrophe ist. Du kannst dir imGrunde einige Patzer leisten, wenn du genug Selbstvertrauen hast. Es geht um Selbstvertrauen, denk daran. Es geht darum, stark zu sein.«
    Ich nicke. »Ich bin stark«, sage ich.

    Danach kommen die Journalisten. Sie hat mir davon erzählt, aber ich hatte es vergessen. Fast wie eine Pressekonferenz in Selma Lynges Wohnzimmer. Alle wissen, daß sie am Tag meines Debüts Geburtstag hat. Alle wissen von den Berühmtheiten, die aus ganz Europa kommen, wissen von dem Seminar in Bergen. Es wird ein Doppelporträt. Lehrer und Schüler. Jeder sagt schmeichelhafte Dinge über den anderen. Sie erzählt von ihrer Vergangenheit und was sie nach Norwegen gebracht hat. Ich erzähle, was mich zu Selma Lynge gebracht hat. Daß sie schlicht und einfach die Größte ist. Danach stehen wir nebeneinander vor dem Bösendorfer Flügel und werden abgelichtet.

    Als wir fertig sind, als die Journalisten gegangen sind und Selma Lynge mir die letzten Instruktionen gegeben hat, gehe ich zum letztenmal den Weg über den Fluß. Es ist purer Leichtsinn von mir, das zu tun, wieder über die glitschigen Steine zu balancieren. Aber ich kann es nicht lassen. Vielleicht habe ich die vage Sehnsucht in mir, daß ich abrutsche, daß ich mir den Arm breche, daß ich im letzten Augenblick davonkomme, daß ich statt dessen bei Marianne liege und behutsam ihren Bauch betaste.

    An diesem Nachmittag ist Marianne fürsorglicher als sonst. Sie hat ein Steak für mich besorgt, weil sie meint, daß ich Proteine brauche. Sie hat einen leichten Weißwein besorgt, obwohl Weißwein sicher nicht zu Fleisch paßt. Sie meint, daß ich etwas zum Entspannen brauche, aber nicht zu viel. Es ist wichtig, daß ich gut schlafe. Gleichzeitig ist eswichtig, daß ich nicht das Gefühl von etwas absolut Außergewöhnlichem bekomme.

    Abends ruft Rebecca Frost an. Sie ist seit Monaten zurück von der Hochzeitsreise, ohne sich mit einem Wort gemeldet zu haben. Sie spricht leise, fast flüsternd.
    »Ich würde morgen so gerne kommen«, sagt sie. »Aber du weißt ja, daß ich nicht kann. Christian würde mich

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