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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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uns zum erstenmal getroffen haben, und dort ein Glas Wein trinken. Ich gehe dann zum Hintereingang der Aula und spiele den Flügel ein, bevor der Klavierstimmer William Nielsen eine dreiviertel Stunde vor dem Konzert die letzten Justierungen vornimmt.
    Wir stehen direkt gegenüber der Universität und dem Haupteingang zur Aula. Ich werde den Augenblick nie vergessen. Sie ist schön, stark und strahlend. Sie schaut mir erwartungsvoll in die Augen, obwohl auch sie nervös sein muß, denke ich.
    »Es wird wunderbar klappen«, sagt sie. »Jetzt gebe ich dir einen letzten Kuß. Und dann wirst du spielen, daß ihnen Hören und Sehen vergeht.«
    Sie küßt mich auf die Stirn. Wie eine Segnung.
    »Ich sitze im Saal, in der siebten Reihe, und werde dich anfeuern.«
    »Mach es nur nicht wie meine Schwester«, sage ich. »Sie hat mitten im Konzert ›Bravo‹ gerufen.«
    »Ich weiß, wann ich rufen und schreien muß«, sagt sie. »Vergiß nicht, ich war in Woodstock.«
    Dann umarmt sie mich flüchtig, dreht sich um und geht schräg über die Straße ins Blom.

    Ich überquere die Straße und gehe am Hauptgebäude der Universität entlang zum Hintereingang. Ich begrüße Nielsen. Er sitzt unten im Künstlerfoyer und sagt, daß er mit der letzten Feinstimmung wartet, bis ich fertig bin. W. Gude ist noch nicht gekommen.
    Ich gehe in den leeren Saal. Ich bin ganz allein.
    Ich setze mich an den Flügel.
    Ich weiß, daß Selma Lynge in diesem Augenblick in Empfangsraum des Continental einen Aperitif für ihreprominenten Gäste gibt. Ich weiß aus Erfahrung, daß Menschen vor der kleinen Luke der Konzertkasse rechts von der Tür stehen, unterhalb des Eingangs zur Aula, um ihre Eintrittskarten abzuholen. Ich weiß, daß die Kritiker jetzt von ihrem Mittagsschlaf aufwachen und auf die Uhr schauen.
    Es scheint unwahrscheinlich, daß es voll wird.
    Ich spiele vorsichtig, um die Stimmung des relativ neuen Steinway nicht zu schädigen. Ich bin etwas enttäuscht von der Tastatur, die so leicht geht. Das vorige Instrument, das hier stand, hatte einen größeren Widerstand und gleichzeitig eine größere Tonschärfe.
    Ich mache mich mit dem Flügel vertraut. Streife durch alle Komponisten, die ich spielen werde, in der richtigen Reihenfolge. Valen, Prokofjew, Chopin, Beethoven, Bach und Byrd.
    Abschließend spiele ich noch einige Takte aus meinem eigenen kleinen Stück »Elven«.

    William Nielsen steht jetzt in der Tür und wartet. Die Zeit wird knapp.
    »Ich bin fertig«, sage ich.
    »Ist das Instrument gut?« fragt er, vorsichtig und aufmerksam, wie er immer ist, egal ob er mit Rubinstein spricht oder mit mir.
    »Ich vermisse den vorigen Flügel«, gebe ich zu. »Dieser hat nicht dieselbe Tiefe. Aber da ist nichts zu machen.«
Das Wartezimmer
    Ich sitze im Wartezimmer. Dem Künstlerfoyer. Ich saß schon früher hier, aber nie ganz allein. Die Erinnerung an Rebeccas Debüt wird wach. Die Erinnerung an Anja. Es scheint plötzlich lange her zu sein. Dabei war das alles erst im vergangenen Jahr.
    Es klopft an der Tür.
    »Ja?« sage ich.
    Es ist Selma Lynge, in Begleitung von W. Gude. Ich sehe an ihren Augen, daß sie Champagner getrunken haben, daß sie nervöser sind als ich.
    »Alles Gute zum Geburtstag«, sage ich zu Selma Lynge.
    »Vergiß es«, erwidert sie. »Wie geht es dir, mein Junge?«
    »Ich bin bereit«, sage ich.
    W. Gude betrachtet mich mit väterlichem Blick. »Ich kann die letzten Minuten hier sitzen bleiben, wenn du willst.«
    »Gern. Erzähl mir etwas Kluges und Beruhigendes«, lache ich.
    »Nein, das tust du nicht«, sagt Selma Lynge scharf. »Der Junge braucht Ruhe. Er muß sich konzentrieren.« Und mit einem Blick auf mich: »Vergiß nicht, an die kleinen Phrasen zu denken.«

    Noch zwanzig Minuten. Noch siebzehn Minuten. Noch vierzehn Minuten. Als es noch zwölf Minuten sind, muß ich pinkeln. Als es noch sechs Minuten sind, muß ich noch mal pinkeln. Als es noch drei Minuten sind, muß ich richtig aufs Klo.
    W. Gude klopft an die Tür.
    »Es ist soweit!« sagt er mit seiner euphorischsten Stimme.
    »Ich sitze auf dem Klo!« rufe ich aus der halb offenen Toilettentür, aber bei geschlossener Tür vom Künstlerfoyer zum Gang.
    »Herrgott junger Mann! Weißt du, wieviel Uhr es ist?«
    »Ich komme!« sage ich. »Noch zwei Minuten.«
    »Wir müssen pünktlich sein«, ruft W. Gude. »Zu spät anfangen verunsichert das Publikum.«
    »Zwei Minuten!« wiederhole ich.
    Ich ziehe mich in einer Minute an. In der zweiten Minute stehe

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