Der Frauenhaendler
Sicherheit weiß, ist, dass ich lebe.
Wir durchqueren wieder den Flur. Die Tür ist immer noch offen, die Tapete immer noch scheußlich, der scharfe Geruch des Kordit immer noch stark. Als wir auf dem Treppenabsatz ankommen, erfasse ich mit einem einzigen Blick, was in der Garage geschehen ist. Giorgio liegt neben seinem Motorrad, die Vorderseite seines blauen Hemds blutig, die Lederjacke auf Höhe des Herzens aufgerissen. Der Gymnasiast liegt mit offenen Augen auf der Seite. Eine rote Lache breitet sich unter seinem Kopf auf dem Beton aus. Er scheint Sergio anzustarren, der mit dem Bauch nach unten daliegt und in seiner uneleganten Weise, tot zu sein, noch plumper und gedrungener wirkt als zuvor.
Carla würdigt die Männer keines Blickes, als wären sie Teil von etwas, das sie im Geiste registriert und sofort zu den Akten gelegt hat. Schnell steigen wir die Treppe hinab. Mein Koffer ist schwer. Was zum Teufel da drin ist, weiß ich nicht, aber er ist schwer. Schon nach den wenigen Schritten bin ich außer Atem.
Carla ist härter, stärker, ruhiger, effizienter.
Das Wort tödlich kommt mir in den Sinn, aber ich verdränge es sofort wieder.
Wir erreichen den Kadett. Sie öffnet den Kofferraum, holt zwei Arbeitshandschuhe heraus und wirft sie mir zu.
»Zieh die an. Öffne das Rollgitter ein Stück und schau nach, ob auch niemand draußen ist. Dann geh das Tor öffnen.«
Ich tue es, während sie die Koffer in den Wagen packt. Draußen finde ich mich an der neutralen Nachtluft wieder, die schon für sich genommen ein Segen ist. Ich folge der Betonauffahrt und werde vom violetten Schein der Stadt im Hintergrund zum Tor geleitet.
Kaum habe ich das Metalltor geöffnet, springt der Motor des Opel an und der Wagen fährt im Rückwärtsgang heraus. Der Schein der Rücklichter streift die hingestreckten Körper und zieht sich wieder zurück, als würde es ihn ekeln. Nur die Neonröhren in der Höhe beleuchten die Szenerie weiter.
Der Wagen erreicht die Straße und bleibt stehen, die Schnauze in die Richtung gewandt, aus der ich ein paar Minuten oder ein paar Stunden zuvor gekommen bin. Einen Moment lang befürchte ich, Carla würde nicht anhalten und ich müsste alleine vor diesem Haus voller Leichen zurückbleiben, müsste versuchen, die Ereignisse zu begreifen und sie jenen zu erklären, denen gegenüber ich Rechenschaft abzulegen hätte.
Dann öffnet sich die Beifahrertür. Im Schein des Armaturenbretts sehe ich, wie mich Carlas Hand herbeiwinkt. Mit einem Seufzer der Erleichterung setze ich mich neben sie und lasse endlich zu, dass meine Hände und meine Beine zittern. Schnell fahren wir zur Staatsstraße und biegen links ab. Erneut Luna-Park, erneut der Wasserflughafen, erneut Linate. An der Ampel biegen wir rechts ab in Richtung Stadt. Am Rande des Viale Forlanini zieht sich eine Betonmauer entlang, auf der jemand mit schwarzem Sprühlack eine Botschaft hinterlassen hat.
Was zum Teufel macht Nelson auf unserem Schiff?
Kapitel 20
Wir parken vor Carmines Haus. Über den Dächern liegt ein vages Versprechen von Licht. Erneut zieht eine Morgendämmerung herauf, und ich und Carla sind wieder beisammen. Ich gönne mir den Luxus einer kleinen Chimäre, das Einzige, was mir im Moment gestattet ist. Ich möchte zurückkehren, an einen Morgen wie diesen, und zum ersten Mal ihre Worte hören
Mit dir würde ich auch umsonst mitgehen …
und denken, dass es wahr ist, und antworten, ja, Himmel, ja, von diesem Tag an bis zum letzten, den ich erlebe, ja, bei dem, was ich bin, und bei dem, was ich nicht bin, ja, verdammt noch mal, ja, an welchem Ort auch immer, ja, auf welche Weise auch immer, ja …
Auf welche Weise auch immer, aber nicht auf diese.
Carlas Hand dreht den Schlüssel herum und stellt den Motor aus.
Die Adresse der Wohnung in Quarto Oggiaro habe ich ihr gegeben, als sie nach einem Halt an einer öffentlichen Telefonzelle wieder zum Wagen zurückgekehrt war.
Das war am Ende des Viale Forlanini. Durch die Windschutzscheibe habe ich sie an der Motorhaube vorbeigehen sehen und durch das Fenster auf meiner Seite die Hand heben, eine Münze einwerfen, eine Nummer wählen und warten. Dann habe ich sie mit jemandem reden sehen, ein kurzes Gespräch, in dessen Verlauf sie Forderungen vom anderen Ende der Leitung zurückzuweisen schien.
Danach hat sie den Hörer eingehängt und ist wieder eingestiegen. In aller Ruhe ist sie weitergefahren, die Augen aufmerksam auf die Straße gerichtet. Zu aufmerksam,
Weitere Kostenlose Bücher