Der Frauenhaendler
die Gelegenheit zu geben, Augenblick für Augenblick die gemeinsam verbrachten Stunden noch einmal zu durchleben. Alle ihre Gesichter, alle ihre Verwandlungen. Von der Putzfrau in das Mädchen, das der eigenen Schönheit fassungslos gegenübersteht, und dann in die Frau, die sich ihrer Macht über die Männer bewusst ist und die Welt zu erobern beschließt. Und schließlich in die Carla von jetzt, eine Unbekannte mit kaltem Blick und einer harten Falte im Gesicht.
Nicht einmal das Neonlicht kann ihrer Schönheit etwas anhaben. Nicht die Jeans und nicht der billige Pullover, den sie trägt. Nicht das Wissen, dass sie sich ausschließlich in der Absicht an mich herangemacht hat, mich in etwas zu verwickeln, aus dem ich nicht lebend herauskommen werde.
Sie ignoriert Giorgio und Chico, der einen Schritt und eine Pistolenlänge hinter mir steht. Stattdessen geht sie zu Lucio, legt einen Arm um seine Hüfte und presst ihre Lippen auf seine. Dann nickt sie mit dem Kopf in meine Richtung.
»Wie ich sehe, haben wir Besuch. Wie hast du ihn ausfindig gemacht?«
Lucio schaut mich mit einem verhaltenen Lächeln an. Seine Ironie amüsiert mich allerdings nicht mehr.
»Bravo ist seinem Namen treu geblieben. Bravissimo müsste man ihn sogar nennen. Pech für ihn. Er hat fast alles alleine herausgefunden, dann aber den Fehler begangen, sich nicht der Polizei, sondern mir zu stellen.«
Carla gibt keinen Kommentar ab, sondern wendet sich an mich.
In ihren Augen liegt keine Spur von Schmeichelei.
»Da bist du also.«
Eine schlichte Feststellung. Sie sagt das, als wäre es vollkommen natürlich, dass wir uns in einer Situation gegenüberstehen, in der Chico mit der Waffe in der Hand meine wenigen Bewegungen kontrolliert.
»Tja, da bin ich.«
Was könnte ich schon hinzufügen, das nicht längst gesagt wäre oder gar nicht erst gesagt werden müsste? Könnte ich ein Gefühl zum Ausdruck bringen, das sie nicht schon aus meinen Mienen oder meinen Handlungen herausgelesen haben dürfte?
Ich schaue sie an, sie schaut mich an. Wie Lucio gegenüber bin ich auch in diesem Fall dieselbe Person geblieben.
Sie nicht.
Als wäre das noch nötig, wird mir das von ihren Worten bestätigt.
Trockenen, präzisen, gnadenlosen Worten.
»Du widerst mich an, Bravo. Schon bei unserer ersten Begegnung hätte ich dir das gerne gesagt. Wegen deiner ganzen Art. Wegen deiner Nutzlosigkeit. Wegen der verkommenen Welt, die du repräsentierst und der du deine schmierigen Dienste erweist.«
Es gibt nur eines, das ich darauf sagen könnte, und ich sage es.
»Ich habe niemanden umgebracht.«
»Ich auch nicht. Nur Personen, die es verdient haben, und die zählen nicht.«
Die anderen sind diesem Wortwechsel schweigend gefolgt. Es ist nicht schwer zu sehen, auf wessen Seite sie stehen und wem sie innerlich Recht geben.
Lucio mischt sich ein.
»Aber das wirst du nie begreifen, mein Freund. Wir haben keine Gegner, sondern nur Feinde. Die Gegner überlassen wir der Politik, die unter diesem Decknamen eine ganze Reihe von Betrügereien, Vertuschungen, Missbräuchen und Staatsmorden kaschiert. In einem Maße, dass das Wort Gegner zum Synonym für Komplize geworden ist. Was uns bestärkt, ist die feste Überzeugung, dass nichts unabdingbar, unabwendbar und unersetzbar ist. Wir glauben an etwas, das nicht nur das Leben der anderen, sondern auch das eigene bedeutungslos werden lässt. Wie viele Genossen hat auch Carla sich dazu bereiterklärt, sich für Dinge herzugeben, die ihr eigentlich widerstreben, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen. Sie hat die Augen nicht geschlossen, sondern offen gehalten und in die Ferne geschaut, während sie mit dir gefickt hat.«
Er streicht ihr übers Haar und lächelt sie an.
»Die Welt von morgen hat dir viel zu verdanken.«
Carla beobachtet mich. Ihr Gesichtsausdruck bestätigt die eiskalten Worte, die sie zuvor ausgesprochen hatte. Ich kann aber nur an diesen einen Satz denken.
Während sie mit dir gefickt hat …
Das bedeutet, dass sie ihm nichts von mir erzählt hat, nichts von meiner traurigen Verstümmelung, die ein turbulentes Durcheinander an Witzen und Gelächter hervorgerufen hätte, wäre sie wie eine Bowlingkugel in die Kegel des Ascot Club geflogen. Auch in der Runde dieser Männer hier, die im Namen des Nichts Leben auslöschen, um dann in diesem Nichts zu verschwinden, hätte die Geschichte eine Welle von Sarkasmus und Spott über mir zusammenschlagen lassen.
Sie hat ihn glauben lassen, dass sie und ich
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