Der Frauenhaendler
wird.
»Was ist in Bonifacis Villa geschehen?«
Carla lässt die Augen durch das Zimmer schweifen. Vielleicht bemisst sie den Unterschied zwischen der schmutzigen Umgebung, in der wir uns aufhalten, und dem Luxus, den sie an jenem Abend vorgefunden hat. Vielleicht ziehen vor ihren Augen Bilder vorbei, die sie eigentlich vergessen möchte. Was für mich Fantasie ist, sind für sie Erinnerungen, mit denen sie sich noch ewig herumschlagen wird.
»Kann ich noch einen Kaffee bekommen?«
Ich stehe auf, gehe in die Küche und spüle die Espressokanne aus. Den Grund für ihre Bitte glaube ich zu verstehen. Sie zieht es vor, wenn ich ihr während der Erzählung nicht in die Augen schaue.
Ihre Stimme erreicht mich, als ich das Sieb wieder fülle.
»Während des Fests hatte ich eine Fenstertür aufgelassen. Als Lucio und die anderen kamen und Laura mitbrachten, hatte ich die anderen Mädchen, Bonifaci und seine Gäste bereits unter Kontrolle.«
Ich drücke das braune Pulver mit einem Teelöffel fest.
Als Lucio und die anderen kamen und Laura mitbrachten …
Das bedeutet, dass die Sicherheitsleute bereits tot waren. Und dass dieses arme Mädchen herbeigeschleppt wurde, um der Staatsraison geopfert zu werden. Vielleicht ausgerechnet von dem Mann, für den sie ihr Leben ändern wollte.
Carla fährt fort. Ich schraube die Espressokanne zu.
»Gabriel Lincoln hatte uns erzählt, dass der Tresorraum im Untergeschoss versteckt ist. Lucio und ich sind mit Bonifaci runtergegangen. Der wollte die Existenz eines solchen Raums leugnen, aber ich habe ihn ins Bein geschossen, um ihn davon zu überzeugen, ihn zu öffnen.«
Ich halte das Feuerzeug an die Gasdüse. Die bläuliche Flamme umzüngelt den Boden der Espressokanne.
»Da hat Bonifaci nachgegeben. Er hat uns erklärt, wo der Tresor ist, und hat uns die Kombination verraten. Als der Raum offen war, hat Lucio den Mann erschossen.«
Die Flamme bewegt sich mit hypnotischer Kraft, wie Carlas Worte, die aus dem anderen Zimmer kommen.
»Im Innern haben wir gefunden, was wir gesucht haben. Wir haben die Dossiers an uns genommen und sind wieder hochgegangen. Als wir oben ankamen, lagen im Salon nur noch Leichen.«
Der Deckel ist hochgeklappt, und ich sehe, dass die dunkle Flüssigkeit herauszusprudeln beginnt. Ich schließe den Deckel und warte, bis es im Röhrchen gurgelt, dann schalte ich das Gas aus, nehme die Kanne und kehre ins andere Zimmer zurück.
Carla sitzt reglos da, die Arme auf den Tisch gestützt, und starrt vor sich hin. Ich schütte Kaffee in die Tasse, die vor ihr steht. Auch meine gieße ich noch einmal voll.
»Chico und Sergio sind sofort losgegangen, um deinen Wagen auszutauschen. Ich und die anderen sind mit den Dossiers über die Rivoltana in das Haus zurückgekehrt.«
Carla streckt eine Hand aus und nimmt die Tasse. Sie trinkt einen Schluck.
Mir wird bewusst, dass ich diesen Kaffee gar nicht möchte. Ich möchte nur, dass Carla ihre Geschichte beendet.
»Erzähl mir von Lucio.«
Eigentlich würde ich sie gerne nach jener Nacht fragen. Jener, in der …
Ihre Stimme unterbricht meine Gedanken.
»Lucio war müde. Mir war klar, dass er dieses Leben in Wahrheit gar nicht mehr aushielt. Im Verborgenen zu existieren, wie im Gefängnis zu leben, in seiner Verkleidung eingesperrt zu sein. Die ideologischen Diskussionen hat er nur noch für die anderen geführt, pure Augenwischerei. Der Untergrund zermürbt und sucht sich früher oder später eine Alternative. Egal was für eine, egal zu welchem Preis, Hauptsache am Licht. Ich habe mich mit Lucio zusammengetan, weil ich mir einer Sache sicher war.«
»Nämlich?«
»Dass er, wenn die Dokumente erst einmal in unseren Händen wären, die Alternative schon erkennen würde. Also habe ich so getan, als wäre ich seine Komplizin in dem Projekt, sie zu nutzen.«
»Soll heißen?«
»Die Dokumente für uns zu behalten. Mit diesen Papieren in der Hand hätten wir dieselbe Macht gehabt wie Bonifaci. Sie wären die Garantie für unsere Unversehrtheit gewesen und außerdem eine unerschöpfliche Geldquelle.«
Sie trinkt den zweiten Kaffee aus. Ich zünde mir eine weitere Zigarette an.
»Der Traum aller Menschen. Freiheit, Unantastbarkeit, Geld.«
Sie schaut mich an.
»Es gab da nur ein Problem.«
Schweigend warte ich darauf, dass sie meine Vermutung bestätigt.
»Genauso sicher war ich mir der Tatsache, dass Lucio mich benutzen würde, um sich der anderen zu entledigen, und dass er sich, wäre das erst einmal
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