Der Frauenhaendler
getan, auch meiner entledigen würde. Deshalb hatte ich keine Wahl. Entweder er oder ich.«
Ich schnippe die Asche in meine Espressotasse. Bei der Berührung mit der Flüssigkeit zischt sie leicht. Es gibt noch etwas, das ich wissen muss.
»Warum hast du dich bereiterklärt, bei dieser Sache mitzumachen?«
»Aus demselben Grund, der alle vorantreibt. Geld. Macht. Such dir etwas aus.«
Sie betrachtet ihre Hände.
»Alles Dinge, die jetzt keinen Sinn mehr ergeben.«
Sie macht eine Pause. Danach lässt sie ihre Augen wieder auf mir ruhen. Ich weiß nicht, was sie in meinem Gesicht sucht. Ich weiß nicht, was sie dort findet. Ich ziehe ein letztes Mal an meiner Marlboro und lösche sie in meiner Tasse aus.
Bleibt eine letzte Frage, die wichtigste.
»Was hast du jetzt vor?«
Nervös rutscht Carla auf ihrem Stuhl herum.
»Das weiß ich nicht genau.«
Schweigend verfolge ich sie mit dem Blick, als sie sich erhebt und zu den Koffern geht, die auf dem Boden stehen. Sie zeigt mit der Hand darauf.
»So viel ist sicher: Sollte ich dieses Material der Person übergeben, die mich damit beauftragt hat, es zu beschaffen, wäre ich innerhalb einer Stunde eine tote Frau.«
Ich schaue sie an und erhalte denselben Blick zur Antwort.
Es ist der Moment der Spiegel.
In ihren Augen liegen die Anzeichen der einzigen menschlichen Gewissheit. Es ist die Müdigkeit und die Enttäuschung der Kriegsheimkehrer, die anderen das Leben genommen und dann irgendwann gemerkt haben, dass alles sinnlos war. Und die doch immer noch um ihr eigenes Leben kämpfen müssen.
Plötzlich spricht Carla in bestimmtem Ton. Sie hat eine Entscheidung getroffen.
»Gib mir sechs Stunden Vorsprung und geh dann zur Polizei.«
»Und was soll ich denen erzählen?«
»Alles, was passiert ist.«
»Sie werden mir niemals glauben. Ich habe kein Alibi und nicht einmal den Zipfel eines Beweises.«
»Den wirst du haben.«
Carla beugt sich hinunter und lässt das Schloss an einem der Koffer aufschnappen. Er ist voll mit unterschiedlich dicken Pappmappen in verschiedenen Farben. Jede Mappe wird von einem Gummiband zusammengehalten und trägt ein Etikett. Carla schaut einige durch, bevor sie die findet, die sie sucht. Sie zieht sie heraus, öffnet sie und blättert kurz darin herum. Dann legt sie sie auf den Boden. Nachdem sie den Koffer wieder geschlossen hat, nimmt sie eine Jacke aus ihrer Reisetasche. Als sie aufsteht, hält sie die Mappe in der Hand und hat die Jacke übergezogen.
»Hier drin sind Dokumente und Beweise, die denjenigen, der das alles organisiert hat, in Bedrängnis bringen können. Es reicht, um ihn in jede Ecke zu drängen, die zufällig in der Nähe ist. Das wird deine Lebensversicherung sein.«
Zwei Schritte, und die Mappe liegt auf einer Kommode. Dann kehrt Carla zu den Koffern zurück.
»Und die anderen werden meine Lebensversicherung sein.«
»Wo wirst du hingehen?«
»Je weniger du weißt, desto besser.«
Ihr Gesicht verrät, dass der Ort, an den sie sich begeben wird, auch für sie ein Geheimnis ist. Ich hoffe, dass sie Frieden dort findet. Ich bin mir sicher, dass es nicht so sein wird.
»Hast du Geld?«
»Ja. In Bonifacis Tresor war mehr als genug davon. Der Mann hat den Banken nicht getraut. Nicht einmal seinen eigenen.«
Viel bleibt nicht mehr zu sagen. Carla kommt und berührt meine Lippen mit den ihren.
»Ich hätte eine andere sein und dich unter anderen Umständen kennen lernen mögen. Es hätte alles so schön sein können.«
Aus dem Duft ihrer Haut und der Wärme ihrer Lippen entwickelt sich unwillkürlich eine Frage. Die ich im selben Moment bereue, als ich sie ausspreche.
»Werde ich dich wiedersehen?«
Sie legt mir einen Finger auf die Lippen, um mich daran zu hindern, noch mehr zu sagen. Ihre Augen sind Hoffnung und Verdammnis zugleich. Dann dreht sie sich um, öffnet die Tür, nimmt die Reisetasche und die Koffer und zieht sie in den Hausflur. Die Tür schließt sich langsam hinter Carla und lässt ihren Körper allmählich verschwinden, bis an der Stelle nichts weiter zurückbleibt als eine glatte Holzoberfläche.
Ich bleibe alleine zurück.
Das Geräusch des Aufzugs, der in der Etage ankommt, signalisiert den Beginn einer Reise. Die in Carlas Fall eine dieser endlosen Fluchten sein wird, die aus dem Leben eine Verdammnis machen. Und ich bin erst recht verdammt, weil ich keinerlei Schuldgefühle empfinde wegen meines Mitleids mit einer Mörderin.
Kapitel 21
Die Müdigkeit tritt im selben
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