Der Frauenhaendler
Meinung befand es für normal, dass er sich aus seinem Hotelzimmer gestürzt hatte, um dem Skandal, der ihn erledigt hätte, zu entgehen. Und niemand schien zu bemerken, dass er sich das Leben viele Stunden vor Beginn der Polizeioperationen genommen hatte.
Ich wurde zu einer Tatortbegehung in die Villa an der Rivoltana gebracht. Detailliert beschrieb ich, was dort passiert war. Wer geschossen hat, von wo geschossen wurde und wie oft. Vermutlich war mir während meiner Erläuterungen die Erleichterung anzumerken, dass ich nicht als eine der Leichen geendet war. Mit ziemlicher Sicherheit hätten dagegen einige der Personen, denen ich das alles erläuterte, ein solches Ende als ein Geschenk des Himmels betrachtet.
Der Erfolg im Kampf gegen den Terrorismus und der harte Schlag gegen das organisierte Verbrechen haben dazu beigetragen, den Behörden eine bittere Pille zu versüßen, die sie in dem Zusammenhang schlucken mussten: Sie waren nicht begeistert, dass ich derart wichtige Informationen an die Presse weitergegeben hatte. Zwischen den Ordnungskräften, den Repräsentanten von Gericht und Regierung und Ugo Biondi kam es zu langen Verhandlungen, um die Sache zu regeln. Am Ende einigte man sich auf eine Version, mit der alle leben konnten. Man beschloss, die Sicherstellung des Dossiers, das so viele Personen belastete, mit der Entdeckung des Schlupfwinkels der Roten Brigaden in Verbindung zu bringen. Die Nachforschungen nach der blonden Frau, die die Umschläge bei den Tageszeitungen abgegeben hatte, wurden eingestellt.
Das sollte meine Person vor Vergeltungsakten derjenigen schützen, die durch meine Schuld oder durch mein Verdienst, je nach Perspektive, im Knast gelandet waren. Für viele Leute aus diesem Milieu ist Rache ein Leckerbissen, den man gleichermaßen heiß oder kalt verzehren kann.
So sind die Dinge im Großen und Ganzen gelaufen.
Der Sohn von Senator Sangiorgi ist in diesem ganzen Mordstheater gar nicht weiter aufgefallen. Die Journalisten haben mich nicht verfolgt, da es bedeutend wichtigere Personen gab, auf die man Jagd machen musste, um ihnen ein Mikrofon unter die Nase zu halten und Fragen zu stellen. Der Präsident der Republik, der Ministerpräsident, diverse Minister und immer weiter bis zu den untersten Stufen der Hierarchieleiter. Ich war diese Leiter nie auch nur ein Stückchen hochgestiegen. Auch in diesem Fall hatte ich es vorgezogen, im Keller zu bleiben, wo ich jahrelang gelebt hatte.
Nach und nach würden die Namen Francesco Marcona und Nicola Sangiorgi im Gedächtnis der Menschen verblassen. Einigen von denen, die Bravo gekannt haben, würde nicht einmal auffallen, dass es sich dabei um ein und dieselbe Person handelte.
Noch eine kleine, vielsagende Kuriosität. Außer dem Dossier, das ich vorgelegt hatte, gab es noch zwei Zeugenaussagen, die meine unglaubliche Geschichte bestätigten. Die Putzfrauen von Costa Britain, die ich an jenem Abend in der Via Monte Rosa angesprochen hatte, waren der Meinung gewesen, mich auf dem Phantombild in den Zeitungen wiederzuerkennen, und waren zur Polizei gegangen. Dort hatten sie berichtet, dass sie mir begegnet seien und dass ich sie nach Informationen über eine gar nicht existierende Arbeitskollegin gefragt hätte.
Eine gewisse Carla Bonelli, glaubten sie sich zu erinnern.
Ich wette, sie haben hinzugefügt, dass man schon meinem Gesicht angesehen habe, dass ich ein Verrückter oder ein Tunichtgut sei.
Oder beides.
Ich lächelte, als ich das hörte, und ließ jeder einen üppigen Strauß roter Rosen nach Hause liefern. Jede Frau sollte einen heimlichen Verehrer haben.
Das Taxi hält unter dem Vordach mit der Aufschrift ›Internationale Abflüge‹. Ich steige aus. Es ist ein guter Tag, um wegzufliegen, bei diesem schönen Spätfrühlingswetter, das die Erinnerung an die Sonne und den blauen Himmel bewahrt, bevor der Sommer kommt und alles zerstört. Ich wusste, dass dieser Moment früher oder später kommen würde. Der Moment, in dem ich mich vor einer Abflugstafel wiederfinde. Im Gegensatz zu Carla stellt sich die Situation für mich allerdings ein wenig angenehmer dar. Niemand verfolgt mich, und ich bin nicht gezwungen, den erstbesten freien Platz im erstbesten Flugzeug zu nehmen.
Ich weiß, dass ich zusammen mit dem Flugticket auch eine Illusion erwerbe, dass ich aber an dem Ort, an dem ich lande, dieselben Männer und dieselben Frauen vorfinden werde, nur mit anderen Gesichtern und Sprachen. Doch das hat keine große Bedeutung.
Das
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