Der Frauenkrieg
spät. Vorwärts, wir wollen unsere Runde beginnen.«
Nachdem Canolles seinen forschenden Blick hatte umher laufen lassen, durchschritt er den Hof und gelangte zu dem Flügel des Gebäudes, hinter dem die Ställe lagen.
Alles Leben des Schlosses schien sich in diesen Teil der Gebäude geflüchtet zu haben. Man hörte Pferde mit den Füßen scharren und eilige Leute umher laufen. Die Sattelkammer scholl vom Geklirr der Gebisse und Geschirre. Man zog Wagen aus den Schuppen, und Stimmen, durch die Furcht gedämpft, aber doch für ein aufmerksam lauschendes Ohr vernehmbar, riefen sich an und antworteten sich.
Canolles horchte einen Augenblick. Es unterlag keinem Zweifel, man schickte sich zu einer Abreise an. Er durchschritt den ganzen Raum zwischen dem einen Flügel und dem andern, ging unter ein Gewölbe und gelangte bis zur Fassade des Schlosses, wo er stehen blieb.
Die Fenster des Erdgeschosses glänzten in der Tat von einem so hellen Lichte, daß man sich sagte, es müsse eine Anzahl Kerzen im Innern brennen und diese Kerzen mußten hin und her getragen werden, so daß sie große Schatten und breite Lichtstrahlen auf den Rasen des Gartens warfen.
Canolles zögerte anfangs, in das Geheimnis einzudringen, das man ihm zu verbergen suchte. Aber bald bedachte er, daß sein Titel als Gesandter der Königin und die Verantwortlichkeit, die ihm diese Sendung auflegte, vieles, selbst bei dem ängstlichen Gewissen, entschuldigten.
Vorsichtig an der Mauer hinschreitend, an deren unterem Teil um so größere Dunkelheit herrschte, je stärker die sechs bis sieben Fuß über dem Boden liegenden Fenster glänzten, stieg er auf einen Weichstein, ging von dem Weichstein auf einen Marmorvorsprung über, hielt sich mit einer Hand an einem Ring, mit der andern am Rande eines Fensterkreuzes, und sandte seine scharfen Blicke in das Zimmer.
Und was sah er? Neben einer Frau, welche die letzte Nadel befestigte, die auf ihrem Kopf einen Reisehut festhalten sollte, kleideten einige Dienstmädchen ein Kind vollends in ein Jagdgewand; das Kind wandte Canolles den Rücken zu, und dieser konnte nur sein blondes Haar unterscheiden.
Aber die Dame, deren ganzes Gesicht vom Glanze zweier sechsarmiger Leuchter übergossen war, bot Canolles das genaue Original des Porträts, das er kurz zuvor im Halbschatten des Gemachs der Prinzessin erblickt hatte; es war wirklich das längliche Gesicht, der strenge Mund, die gebieterisch gebogene Nase der Frau, deren lebendes Bild Canolles erkannte.
Mehrere Hausbeamte, unter denen Canolles den Kammerdiener erkannte, packten in Felleisen, in Koffer und Mantelsäcke, teils Juwelen, teils Geld, teils das Arsenal der Frauen, das man Toilette nennt. Der kleine Prinz spielte und lief während dieser Zeit unter den eiligen Bedienten hin und her; aber unglücklicherweise vermochte Canolles, sein Gesicht nicht zu sehen.
»Ich hatte es vermutet,« murmelte er; »man hintergeht mich; diese Leute treffen Vorkehrungen zur Abreise. Ja, aber mit einer Gebärde kann ich diese Possenszene in eine Szene der Trauer verwandeln. Ich brauche nur auf die Terrasse zu laufen und dreimal in dieses silberne Pfeifchen zu stoßen, und bei dem schrillen Tone, den es von sich geben wird, dringen zweihundert Mann in das Schloß, verhaften die Prinzessin und knebeln alle die Diener, die jetzt ein unterdrücktes Lachen zeigen. »Ja,« fuhr Canolles fort, nur sprach er jetzt mit dem Herzen und nicht mit den Lippen, »ja, aber sie, die dort schläft oder sich stellt, als schlafe sie! Ich werde sie unwiederbringlich verlieren; sie wird einen Haß gegen mich fassen, und zwar diesmal einen wohlverdienten Haß. Mehr noch, sie wird mich verachten und sagen, ich habe mein Spionenamt völlig ausgeübt; und dennoch, warum sollte ich nicht der Königin gehorchen, da
sie
der Prinzessin gehorcht?«
In diesem Augenblick, als wollte der Zufall sein Schwanken bekämpfen, öffnete sich die Tür des Gemaches und zwei Personen, ein Mann von fünfzig Jahren und eine Frau von zwanzig, traten hastig und freudig ein. Bei diesem Anblick ging das Herz unseres Canolles gänzlich in seine Augen über. Er erkannte die schönen Haare, die frischen Lippen, das geistreiche Auge des Vicomte von Cambes, der lächelnd und voll Ehrfurcht der Prinzessin von Condé die Hand küßte. Nur trug jetzt der Vicomte die Kleidung seines wahren Geschlechts und zeigte die reizendste Vicomtesse der Erde.
Canolles hätte zehn Jahre seines Lebens gegeben, um ihr Gespräch hören zu
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