Der Fremde aus dem Meer
Rücken, obwohl das nächtliche Liebesspiel eine Zeitlang her war. Du hast nie ein so selbstloses Geschenk erhalten, unterbrach sie sich selbst in ihren Gedanken und errötete. Nein, gestand sie sich ein. Niemals.
Doch sogar noch, als er sie im Hausmantel ins Bett steckte, hatte sie versucht, zu ihrer gewohnten Distanziertheit zurückzukehren, dem gefühlsmäßigen Unbeteiligtsein. Sie forderte von sich selbst, sich von ihm und dieser ungewohnten Situation zu trennen, und zwar gleich, ehe es zu spät war.
Sie versuchte es. Mein Gott, wie sehr hatte sie es versucht! Aber sogar, als sie sich die Gründe dafür klar machte, auf Abstand zu gehen, drängten sich sein strahlendes Lächeln und seine Neckereien in ihr Bewusstsein. Seine Einstellung war die eines Kindes im Süßwarenladen und ließ überhaupt nicht den Gedanken aufkommen, dass er von ihr weniger hielt als von sich selbst. Seine zärtliche Besorgnis wie für ein verloren gegangenes Kind und seine Sorge um ihre Sicherheit trafen sie an Stellen, die eigentlich für niemanden zugänglich sein sollten. Aber er war bis dorthin vorgedrungen.
Er klappte das Buch zu und legte es zur Seite. Als er sich dann in die Nase kniff, kam es ihr plötzlich vor, als ob sie ihn in seiner Privatsphäre störte. Er beugte sich nach vom, stützte die Ellbogen auf sein Knie und rieb sich mit den Handballen die Augen. Zwischen zwei Fingern steckte ein Zettel. Etwas stimmte nicht.
»Ramsey?«
Er setzte sich auf, sah sie aber nicht an.
»Ist alles in Ordnung?«
»Mir geht’s gut.«
Ein ungutes Gefühl zog ihr den Magen zusammen. Seine Stimme klang gestresst. Warum blickte er sie nicht an? Penny trat an ihn heran, und er rückte von ihr ab, wobei das lange Haar sein Gesicht verdeckte. Der Knoten in ihrem Magen zog sich fester zusammen, und etwas in ihr warnte sie, dass dies passieren musste, sobald sie sich jemandem öffnete. Dennoch trat sie näher, wobei Angst und Sorge ihr Gesicht in Falten legten.
Ramsey versuchte, seine Fassung wiederzugewinnen. Er hielt den Blick auf den schmalen Steg und das Bootshaus da draußen gerichtet und stopfte die Empfangsbestätigung für die Kleidung in seine Hosentasche. Da er nicht mehr hatte schlafen können, hatte er seit dem Morgengrauen die Geschichtsbücher studiert, schockiert darüber, dass im Jahre 1812 sein Land wieder gegen die Briten gekämpft hatte. Entsetzt hatte er erfahren, dass fünfzig Jahre später die Kolonien gegeneinander Krieg führten. Als Mitglied der Revolutionären Nordamerikanischen Marine hatte ihn diese Vorstellung erschüttert, besonders auch deshalb, weil er so viele Menschen in der Revolution hatte sterben sehen. Allmächtiger Gott, wir haben wirklich unsere eigenen Leute getötet! Ramsey wehrte sich gegen den Gedanken, dass ein Krieg das Land gespalten hatte, für dessen Zusammenschluss er gekämpft hatte. Er versuchte sich vorzustellen, dass er Dane beinahe niedergestochen hatte, weil der anderer Meinung gewesen war. Gott sei Dank hatte er es nicht tun können. Ram sah auf das Buch mit dem Titel Janes Kampfschiffe, und seine Laune verschlechterte sich noch mehr.
In diesem Jahrhundert war sein Beruf so gut wie überflüssig. Schiffe wurden nicht mehr mit Hilfe von Himmelsberechnungen, Windgeschwindigkeit und dem Können eines erfahrenen Seemanns gesteuert, sondern von Maschinen, deren Kraft in Pferdestärken gemessen wurde und von verdammten computerisierten Rudern, Drosselungskontrollen und etwas, was man RADAR nannte.
Die Schiffe, auf denen Ramsey Kapitän gewesen war, dienten jetzt nur noch dem Vergnügen und waren kleiner als eine blöde Schaluppe. Mein Gott, wovon sollte er nun seine Rechnungen bezahlen? Da er ja ein vernunftbegabter Mensch war, konnte er einschätzen, dass die Kosten für Kleidung und Wohnen über die
Jahre gestiegen waren. Aber, heiliger Strohsack, fünfundsechzig Dollar für ein Paar getragene Hosen? Das war doch, verdammt noch mal, fast ein Bootsmannslohn!
Ein Klirren ließ ihn in die Richtung blicken, aus der das Geräusch kam. Sein Blick wandte sich sogleich von der zarten Hand, die sich von der dampfenden Tasse zurückzog, zu der Frau, die vor ihm kniete.
Ramsey sah auf die Terrasse, und in seinem Blick schien eine Spur von Feigheit zu liegen. »Bitte, Mädchen, lass mich in Frieden.«
Bei der ruhigen Bitte schlug ihr Herz schneller. Sie hatte nie gedacht, ihn einmal so zu sehen. »Rede mit mir, Ramsey.«
Sein Kiefermuskel arbeitete. »Ich kann nicht.« Noch immer sah er sie
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