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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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ich wissen wollte, wie sie den ganzen Tag ohne Toilette auskomme, lachte sie nervös. Ihr Lachen erschien mir unpassend, aber weil sie nicht antworten wollte, sagte ich: Ich verstehe. Jetzt wurde sie rot. Wortlos gab sie mir die Tüte, in der die Bluse steckte, und bedankte sich. Ich bedauerte, sie mit meiner Frage verwirrt zu haben. Mir war der Raum plötzlich so beengt erschienen, daß ich sie ganz spontan fragte, ohne weitere Überlegungen. Die fehlende Toilette als technisches Problem. Was ich nicht wußte, sie war ein menschliches. Es würde nichts helfen, es ihr zu erklären. Ich würde sie nur noch mehr verwirren.
    Als ich die Ladentür hinter mir schloß und die Stufen zum Bürgersteig hinunterging, drehte ich mich um und blickte in das winzige Schaufenster. Für einen Moment sahen wir uns in die Augen. Die Hände hielt sie vor der Brust gefaltet. Einen Augenblick nur, dann begannen sie, ihr wieder davonzuflattern.
    Hinter mir erzitterte die Luft von vorbeifahrenden Autos und einer schrill jaulenden Straßenbahn. Dann wurde es stiller, bis die nächste Welle von Fahrzeugen heranjagte und an mir vorbeiströmte. Vereinzelt waren Lichter angeschaltet.Der dunstige, undurchdringliche Himmel war nun von einem gleichförmigen Grau.
    Am Abend ging ich zu Kramers. Mit Charlotte Kramer bin ich seit dem Studium befreundet. Sie arbeitet jetzt an der Universität. Ihr Mann Michael ist Laborleiter in einem pharmazeutischen Betrieb, der Medikamente überprüft. Er ist zehn Jahre älter als sie und hat eine Glatze. Sie sind beide ausgeglichene, liebe Leute, die nur für ihre Kinder leben. Ich habe die zwei ganz gern. Sie sind unkompliziert. Die Abende mit ihnen sind ermüdend, aber beruhigend.
    Im Hausflur hing wie immer der etwas säuerliche Geruch der Hinterhäuser. Ich atmete in mein Taschentuch, während ich die Treppen hochstieg. Als ich klingelte, wurde die Tür aufgerissen. Die ganze Familie, sie haben drei Jungen, stürzte sich auf mich, um mich zu umarmen. Ich verteilte Schokolade. Dann ging ich ins Kinderzimmer und bekam ein elektrisches Auto vorgeführt. Die drei Kinder stritten sich heftig, und ich war erleichtert, als Charlotte sie ins Bad schickte. Sie führte mich durch die Wohnung. Bei Charlotte gibt es jedesmal etwas Neues zu besichtigen. Ihr Mann ist Heimwerker und baut überall Regale ein und bringt Holzverkleidungen an. Diesmal hatte ich eine verstellbare Deckenkonstruktion im Korridor zu bewundern, die bedrohlich wirkte. Ich lobte ihn, und er strahlte mich an. Er ähnelt einem Papa aus einem französischen Film, den ich vor längerer Zeit sah.
    Später aßen wir im Wohnzimmer eine Käsefondue. Charlotte und Michael erzählten von den Kindern, was sie angestellt und gesagt hatten. Sie fielen sich gegenseitig ins Wort und amüsierten sich sehr. Dann zeigte Michael ein paar Dias von einer Reise nach Luxemburg. Ich trank viel, weil ich mich langweilte. Als Charlotte einen Schwips hatte, spottete sie über Michaels Glatze und daß er so alt sei. Michael lachte nur. Er war an diese Scherze gewöhnt.
    In der Küche erzählte mir Charlotte, daß sie ein Verhältnismit einem Fernstudenten habe. Er komme alle sechs Wochen nach Berlin, und sie schliefen in seinem möblierten Zimmer zusammen. Er sei gleichfalls verheiratet. Sie wollte wissen, ob sie es Michael erzählen solle. Ich fragte, ob sie sich denn scheiden lassen möchte. Sie verneinte es. Sie konnte nicht einmal sagen, ob sie diesen Fernstudenten liebe. Es sei nur sexuell, und sie wollte wissen, ob ich das verstehe. Ich sagte, daß ich es verstehen könne, und sie erwiderte, sie könne es nicht verstehen, wo doch Michael so gut sei. Sie fühle sich ganz schlecht und verachte sich, schlafe aber weiter mit dem Studenten. Dann verbrühte sie sich mit dem Kaffeewasser die Hand, und Michael kam in die Küche und sprühte Panthenolspray auf die gerötete Haut.
    Nach dem Kaffee verabschiedete ich mich. Michael brachte mich runter. Er wollte mir helfen, ein Taxi zu finden. Auf der Straße umarmte er mich zum Abschied. Er versuchte, mich zu küssen. Ich sagte ihm freundlich, daß wir so etwas unterlassen sollten. Er wurde verlegen und putzte die beschlagene Brille. Ich bat ihn, nach oben zu gehen. Ich wollte allein auf ein freies Taxi warten, doch er blieb bei mir. Er erzählte von einem Kongreß in Basel, von den Sachen, die er dort für Charlotte und die Kinder gekauft habe.
    Als endlich ein Taxi hielt, versuchte er nochmals, mich zu küssen. Dabei fiel ihm die

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