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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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antwortete etwas, was ich nicht verstand. Die Mädchen streckten ihm die Zunge raus und sagten, er sei eine verklemmte schwule Fotze. Dann gingen sie zur Gruppe vor der Eisbude. Sie waren vielleicht fünfzehn Jahre alt.
    Wir stiegen ins Auto. Ein Junge rief uns etwas zu, und die anderen lachten. Als Henry losfuhr, warf einer eine Handvoll Kiesel und Sand gegen die Scheiben. Henry stoppte sofort, aber ich bat ihn, weiterzufahren.
    Ich fragte ihn, was er den Mädchen gesagt hätte.
    Nichts, erwiderte er, nichts Besonderes. Nur daß ich sie nicht mitnehme.
    Ich drehte mich um und betrachtete die schnell entschwindende Gruppe mit den Motorrädern.
    Sie langweilen sich, sagte ich.
    Ja, sagte Henry, sie langweilen sich. Sie werden sich ihr ganzes Leben langweilen.
    Ich hatte die Landkarte auf den Knien und versuchte, auf ihr ein Fahrziel zu finden. Ich entschied mich für eine Siedlung, die der Karte nach an einem Fluß liegen mußte.Eine Mühle war eingezeichnet, und ich hoffte, sie sei ein geeignetes Fotoobjekt.
    Henry fuhr wie immer schnell. Während ich die Karte betrachtete, erzählte er von den Grachten in Amsterdam. Er hatte sie als Kind gesehen. In seinen Träumen stünde er oft an den Grachten. Sie mußten ihn sehr beeindruckt haben.
    Vor uns auf der Landstraße fuhr ein Traktor. Dann ging alles sehr schnell. Ich hatte den Kopf über die Karte gebeugt. Ich merkte, wie Henry den Wagen beschleunigte und aus der Spur lenkte. Als ich aufsah, stand der Traktor seitlich vor uns. Henry trat auf die Bremse, riß den Wagen nach links, gab Gas, bremste und riß mit beiden Händen am Steuer. Ich fiel nach vorn in den Gurt und stützte mich an der Scheibe ab. Ein Hinterrad des Traktors verdeckte für einen Moment das rechte Türfenster. Der Wagen prallte nach oben und fiel zurück. Ich stieß mit dem Kopf gegen das Dach und klammerte mich an Henry. Das Bodenblech oder der Auspuff schlugen mehrmals metallen und hart auf. Der Wagen schlingerte heftig und wurde endlich langsamer. Als Henry ihn zum Stehen brachte, sah ich nach dem Traktor, der jetzt quer auf der Fahrbahn stand. Der Fahrer lag über dem riesigen Lenkrad, bewegungslos. Ich sah nur seinen kopflosen Rücken und stieß wohl einen Schrei aus. Henry faßte meinen Arm und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich zeigte auf den Traktorfahrer. Wortlos streckte ich meine Hand in seine Richtung. Im gleichen Augenblick richtete sich dieser auf, sah sich um und kletterte von dem Fahrzeug.
    Noch einmal gutgegangen, sagte Henry und lächelte mich beruhigend an.
    Wir standen auf einem Kartoffelfeld. Den schmalen, tiefen Graben, der uns von der Straße trennte, mußte der Wagen übersprungen haben. Ich atmete tief durch und erwiderte nichts.
    Der Bauer war um seinen Traktor herumgegangen und kam jetzt zu uns. Er riß Henrys Tür auf und schrie ihn an, ob er verrückt sei, ob er ihn nicht gesehen habe. Er hörte nicht auf zu schreien.
    Henry stieg aus, warf einen kurzen Blick auf den Wagen und fragte den Bauern, ob an seinem Fahrzeug irgend etwas kaputt sei. Der Bauer schrie weiter, er habe lange zuvor geblinkt und sei schon auf der linken Fahrspur gewesen, als Henry ihn überholen wollte. Henry fragte ihn nochmals, ob an seinem Fahrzeug ein Schaden entstanden sei. Der Bauer verneinte und faßte Henry am Jackett. Ob er denn nicht begreife, daß er um ein Haar mit seinem Traktor unseren Wagen zerquetscht hätte. Zerquetscht wie ... Er suchte nach einem Wort, aber in seiner Erregung fiel ihm nichts ein.
    Um ein Haar, sagte Henry sanft.
    Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber ich spürte am Ton seiner Stimme, daß er lächelte.
    Um ein Haar, wiederholte er, was geschieht nicht alles um ein Haar.
    Der Bauer ließ ihn los, trat einen Schritt zurück und sah Henry fassungslos an.
    Ich zeige dich an, sagte er heiser.
    Dann holte er aus und schlug seine Faust in Henrys Gesicht. Henry stolperte zurück, fiel auf die Motorhaube, sein Kopf schlug aufs Blech. Er blieb liegen. Direkt vor mir, wenige Zentimeter entfernt, getrennt nur durch die Windschutzscheibe, lag sein Kopf. Die Augen waren geschlossen. Ich sprang aus dem Wagen und faßte Henry an. Er war besinnungslos.
    Holen Sie Wasser, rief ich dem Bauern zu. Der stand blaß und bewegungslos vor dem Auto. Ich sagte ihm nochmals, er solle Wasser holen. Ich ließ Henry langsam auf die Erde gleiten. Als ich seinen Kopf anhob, öffnete er die Augen und sah mich an. Der Bauer kam über den Graben gestiefelt.In der Hand hielt er eine Flasche,

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