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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Brille runter, und ich mußte sie ihm aufheben, weil er sie nicht sah. Mit traurigen Hundeaugen stand er am Straßenrand und winkte mir.

5
    Samstag früh klingelte Henry bei mir. Er stand in der Tür, den Filzhut zurückgeschoben, und lächelte mich an, ohne etwas zu sagen. Ich fragte ihn, wo er gewesen sei, und er sagte, daß er mit mir schlafen wolle. Er zog mich aus, und wir liebten uns den ganzen Vormittag. Zwischendurch machte ich uns Frühstück, und er erzählte, daß er eine Woche in Ungarn gewesen wäre. Mit einigen Kollegen hatte er Großstädte besucht, um sich dort Rekonstruktionen technischer Anlagen anzusehen. Es habe ihm Spaß gemacht, aber insgesamt sei es etwas anstrengend gewesen. Die Kollegen hätten alle sehr viel getrunken. Schon am Morgen sei man in die Cafés gegangen, und da er selten Alkohol trinke, habe er nur gestört. Er erzählte von den ungarischen Bauernmärkten und den Thermalbädern. Als ich ihn fragte, warum er mir nicht gesagt habe, daß er verreise, schwieg er. Ich lag neben ihm und wartete darauf, daß er antwortete. Ich spürte, daß er verärgert war, aber es war mir gleichgültig.
    Ich dachte, sagte er schließlich, wir hätten eine Vereinbarung.
    Dann rauchte er und sah mich an. Ich sagte, daß ich auf ihn gewartet hätte, daß ich beunruhigt gewesen sei. Er drehte sich weg und sagte grob, ich solle das bleiben lassen, wir seien nicht verheiratet.
    Ich stand auf, zog meinen Bademantel über und ging in die Küche, um das Geschirr abzuwaschen. Als ich ins Zimmer zurückkam, lag er im Bett und las in einer Zeitschrift. Er fragte, ob er gehen solle, und ich schüttelte den Kopf. Ich setzte mich aufs Bett und sagte ihm, daß ich ihn sehr gern habe, und er entgegnete, ich solle aufpassen, daß ich mich nicht in ihn verliebe. Er sei dafür ungeeignet. Wir küßten uns, und er zog mich wieder ins Bett.
    Am frühen Nachmittag fuhren wir aus der Stadt raus. Ich nahm die Tasche mit den Fotoapparaten und den Objektiven mit.
    In einem Dorfgasthaus aßen wir Rührei und Käse. Die Mittagszeit war vorbei, und der Wirt hatte nur widerwillig unsere Bestellung entgegengenommen.
    Außer uns saßen drei alte Männer in der Gaststätte. Sie betrachteten uns schweigend und rauchten. Solange wir im Raum waren, sahen sie zu uns herüber und sagten kein Wort. Der Wirt brachte ihnen Bier, nachdem er unser Essen serviert hatte, und setzte sich zu ihnen.
    Ich sagte zu Henry, daß die Männer all unsere Bewegungen genau verfolgen würden. Gewiß haben sie uns erkannt, scherzte ich. Henry ging auf das Spiel ein. Kein Wunder, alberte er, unsere verdammten Steckbriefe hängen ja überall. Er sagte, ich solle die Alten im Auge behalten, er würde den Wirt übernehmen. Falls er telefonieren sollte, würde er ihn ohne Anruf abknallen. Ich müßte dann die Alten in Schach halten, während er zum Wagen rennen und den Motor starten würde.
    Henry zog den Filzhut ins Gesicht. Seine Augen leuchteten. Ich sagte, vielleicht habe der Wirt bereits in der Küche telefoniert, und die Polizei sei schon unterwegs.
    Das ist möglich, flüsterte er verschwörerisch. In diesem Fall würde er seine Haut so teuer wie möglich verkaufen.
    Wir nickten uns entschlossen zu.
    Dann kam die Frau aus der Küche. Sie stellte sich neben unseren Tisch und fragte, ob es geschmeckt habe. Es sei schon reichlich spät, sonst habe sie immer ein gutes Mittagessen. Sie wollte wissen, ob wir aus Berlin kämen und die Choriner Straße kennen würden. Dort wohne ihre Tochter. Sie sei mit einem Bäckermeister verheiratet und habe überhaupt keine Sehnsucht mehr nach ihrem Heimatdorf.
    Als wir zahlen wollten, sagte sie, das mache der Chefselbst. Sie rief den Wirt. Er kam und kassierte mürrisch das Geld, und sie blieb an unserem Tisch stehen. Sie wünschte uns einen guten Tag und eine gute Fahrt.
    Beim Hinausgehen drehte ich mich zu den drei alten Männern um. Sie betrachteten mich unbewegt. Ich nickte ihnen zu, und sie lächelten dankbar zurück.
    Die Eisbude neben der Gaststätte war jetzt geöffnet. Mehrere junge Leute mit Motorrädern standen und saßen davor. Andere fuhren langsam um die Gruppe herum, hielten und sahen zu uns herüber.
    An unserem Auto standen zwei junge Mädchen. Sie fragten, ob wir sie mitnehmen könnten. Ich fragte, wohin sie müßten, und sie sagten: Das kommt darauf an, wo Sie hinfahren. Sie grinsten mich an. Ich begriff nicht, was sie wollten, und sie lachten mich aus.
    Dann gingen sie zu Henry und fragten ihn, und Henry

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