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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Öffnungszeiten und das Lieferangebot. Ein paar Spaziergänger beobachteten mich dabei. Ich sah, daß sich einer meine Autonummer notierte, und mußte lachen. Ich fragte mich, was er damit anfangen werde.
    Am späten Nachmittag kam ich in Berlin an. Henry war nicht zu Hause. Ich riß die Balkontür in meinem Zimmer auf. Dann duschte ich lange und wusch mir die Haare. Ich wollte lesen, war aber zu nervös, um mich konzentrieren zu können. Ich suchte nach einem Kriminalroman in meinem Regal, den ich halbwegs vergessen hatte. Ich fand nichts Rechtes. Dann spielte ich Patience und trank Kaffee.
    Am Abend klingelte ich bei Henry, aber er war immer noch nicht da. Ich machte mir mein Abendbrot und aß es vor dem Fernsehapparat. Es lief eine französische Ehekomödie. Ich hatte den Anfang nicht gesehen und verstand wohl deshalb nichts. Im Bett dachte ich an meine Eltern, aber ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Es war nur so ein ungefähres Erinnern. Ich schlief bald ein.

4
    Auf vielen Balkons in unserem Haus standen jetzt Blumentöpfe mit Blattpflanzen. Sie wirken blaß und verstaubt. Ich selbst habe keine. Ich würde gern Geranien oder andere Blumen auf den Balkon stellen, aber das ist nicht möglich. Der Wind reißt die Blütenblätter ab.
    In der Sprechstunde waren die üblichen Patienten. In der Mehrzahl kamen sie nur wegen neuer Medikamente. Der Rest waren leichte Infekte, Bagatellen.
    Die einzige Aufregung kam wieder mal von meiner Sprechstundenhilfe. Am Dienstag verkündete mir Karla, daß sie keine Ovosistonpillen mehr nehme. Sie höre damit auf, weil sie davon so füllig geworden sei. Dabei drehte sie sich vor mir in den Hüften, um es zu zeigen. Nun sei sie schrecklich aufgeregt. Sie befürchte, daß es sie »erwischen« würde, weil doch ihr Mann »immerzu zugange« sei.
    Ich dachte an das, was mir eine Röntgenassistentin erzählt hatte. Im vergangenen Jahr, am Tag des Gesundheitswesens, hatte man in der Verwaltung eine Feier für das medizinische Personal ausgerichtet. Eine Rede, einige Auszeichnungen mit Geldprämien und anschließend viel Alkohol. Die Röntgenassistentin hatte zu vorgerückter Stunde unseren Chefarzt und meine Karla in einem Büro erwischt, wo sie gerade »zugange« waren. Sie hatte die beiden eingeschlossen. Der Chef mußte den Pförtner anrufen, um sich befreien zu lassen. Die Kollegen waren begeistert. Keiner hatte vermutet, daß der Alte auch seine Abenteuer hat. (Bei Karla vermutete es jeder.) Es überraschte alle, und um so größer war die Freude. Ein Gefühl der Erleichterung: willkommen, Bruder, im Tümpel unserer kleinen Schäbigkeiten, im Schoß dieser banalen, armseligen Intimitäten.
    Meine kleine, dicke Karla war einfach etwas männertoll, und nun wollte sie mir erzählen, daß sie sich ihres Mannes kaum erwehren kann.
    Sie fragte, ob ich ihr eine Kupferspirale besorgen könnte, ein neueres Kontrazeptivum, über das man in letzter Zeit viel sprach, ein westlicher Import. Ohne aufzusehen, sagte ich, sie solle den Alten fragen, er habe die besseren Verbindungen. Sie verließ wortlos mein Zimmer.
    Am Nachmittag rief ich eine Studienfreundin im Regierungskrankenhaus an, erzählte ihr das Notwendigste und bat sie, für Karla eine Spirale zu besorgen. Sie konnte mir nichts versprechen, sagte aber, daß sie sich in den nächsten Tagen melden würde.
    Als wir die Klinik verließen, erzählte ich Karla von dem Telefonat. Sie bedankte sich, war aber weder überschwenglich noch sehr erstaunt. Vermutlich ahnte sie, warum ich es tat. Ich bin auf sie angewiesen. Schwestern sind in unserer Klinik knapp. Sie wußte, daß sie mir nichts schuldig ist. Dennoch verabschiedete sie sich beinahe herzlich. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, daß sie mir die Hand geben wollte. Es blieb aber beim üblichen Kopfnicken.
    Für mich eine gräßliche Vorstellung: Sie hätte mir die Hand gegeben, sie würde mir von nun an jeden Tag die Hand geben, einmal am Morgen, einmal am Nachmittag. Eine Unaufmerksamkeit, die zur Gewohnheit wird, unendlich, unaufhörlich. So sinnlos wie bedauerlich, ein sich verselbständigender Ritus. Und wir wären unfähig, die eingegangene Vertraulichkeit zu durchbrechen, zu beenden.
    Im Auto sitzend blickte ich Karla nach, belustigt von meiner eigenen Überempfindlichkeit, und doch zufrieden, einer Annäherung entgangen zu sein.
    Ist das Sensibilität. Oder Hysterie. Eine Berührungsangst, Idiosynkrasie. Und woher das Bedürfnis, es zu benennen. Es war doch so einfach:

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