Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Winterkälte ein Pärchen mitfahren lassen, vom Mitleid ergriffen, weil die beiden schon fast festgefroren schienen. Irgendwann hatte ihr der Typ plötzlich ein Messer an die Kehle gehalten und sie zum
Abbiegen auf einen Waldweg genötigt. Dort hatten die beiden sie zum Aussteigen gezwungen und waren mit ihrem Auto sowie ihrer Handtasche, in der sich Geld, Scheckkarten und alle Papiere befanden, abgehauen. Und vermutlich konnte sie dabei noch von Glück sagen, dass ihr nichts Schlimmeres passiert war.
Der Mann seufzte. »Ich nehme eigentlich nie Fremde mit«, sagte er, so als habe er ihre Gedanken gelesen, »aber ich habe den Eindruck, ich kann Sie hier nicht sitzen lassen. Also, wenn Sie mögen …«
»Das Problem ist …«
Er nickte. »Ihr Mann. Den müssen wir natürlich auch noch aufsammeln.«
»Ich kann ihn nicht einfach hier zurücklassen.«
»Selbstverständlich nicht. Haben Sie eine Ahnung, wohin er gegangen ist?«
»In diese Richtung.« Sie wies die Straße entlang. »Und dann die Erste links rein. Mehr weiß ich nicht. Er hoffte, irgendwo ein Lebensmittelgeschäft zu finden. Ich kann versuchen, ihn über sein Handy zu erreichen.«
»Warten Sie mal. Das Dorf ist nicht groß, wir finden ihn bestimmt sofort.« Der Mann verschloss seine Kühltasche wieder, richtete sich auf. »Kommen Sie, wir verstauen Ihr Gepäck und dann fahren wir los.«
»Jetzt haben Sie auch noch Umstände durch mich«, meinte Inga. Sie rappelte sich auf und unterdrückte einen leisen Schmerzensschrei, als sie die Füße auf den Asphalt setzte. »Gott, ist das heiß, wie eine Herdplatte!«
» Setzen Sie sich schnell ins Auto. Ich mache das mit dem Gepäck. Sie können hier nicht barfuß herumlaufen.«
Erleichtert sank sie auf den Beifahrersitz. Im Wagen musste die ganze Zeit über die Klimaanlage gelaufen sein, denn es herrschte eine angenehme Temperatur. Der Mann tauchte
neben Inga auf und drückte ihr einen Erste-Hilfe-Kasten in die Hand.
»Hier. Verbinden Sie mal Ihre Füße. Da sollte jetzt kein Dreck drankommen.«
Während Inga Verbände zurechtschnitt, räumte ihr Retter die Campingausrüstung in den Kofferraum und in Teilen auf den Rücksitz. Dann setzte er sich auf den Fahrersitz und startete den Motor. Auf seiner Stirn glänzte Schweiß. »Lieber Himmel«, sagte er, »fünf Minuten da draußen, und man ist wie weich gekocht. Übrigens«, er sah sie an, »ich heiße Maximilian. Maximilian Kemper.«
»Inga Hagenau.«
»Okay, Inga – ich darf Sie Inga nennen, ja? –, dann suchen wir jetzt mal Ihren Mann. Und wenn alles glatt geht, sind Sie heute abend schon am Mittelmeer.«
Zu schön, um wahr zu sein, dachte sie, und während sie sich in die kühlen, glatten Polster zurücklehnte, überlegte sie, dass sie, zumindest in den Augen ihrer Mutter und einer Reihe wohlmeinender Freundinnen, sehr leichtfertig handelte. Sie hatte sich Gedanken gemacht, ob sie wohl Vertrauen erweckend genug aussah, um mitgenommen zu werden, aber sie hatte sich keinen Moment lang gefragt, ob er Vertrauen erweckend war. Seriös. Zuverlässig, was auch immer.
Unter halb gesenkten Wimpern musterte sie ihn von der Seite. Er schaute auf die Straße hinaus. Immerhin nicht auf ihre nackten Beine. Das hätte sie nervös gemacht. Vorhin waren ihr die Shorts zu viel gewesen, jetzt fand sie, dass sie aus beunruhigend wenig Stoff bestanden. Sie hätte gerne etwas gehabt, was sie über ihre nackten Oberschenkel hätte ziehen können, aber an ihr Gepäck kam sie nicht heran, und sie wäre sich auch albern vorgekommen, wenn sie bei dieser Hitze plötzlich einen Pullover über ihre Beine gebreitet hätte.
Sie blinzelte noch einmal zu ihm hinüber. Sein Blick war noch immer auf die Straße gerichtet.
Inga seufzte tief. Sie würde drei Kreuze machen, wenn erst Marius im Auto saß.
2
An diesem ganz gewöhnlichen Mittwochmorgen im Juli beschloss Rebecca Brandt, dass es Zeit war, ihrem Leben, das sie als ein solches im Sinne eines lebenswerten Daseins nicht mehr empfand, ein Ende zu setzen.
Es war nicht so, dass der Gedanke an Selbstmord unerwartet über sie gekommen wäre. Sie hatte ihn manchmal im Kopf bewegt, er war ein Strohhalm gewesen, an den sie sich in den dunkelsten Momenten geklammert hatte, wenn Hoffnungslosigkeit und Trauer ohne Ende schienen und kein Weg mehr sichtbar war für sie. Dann hatte sie gedacht: Wenn ich es nicht mehr aushalten kann, dann gehe ich. Das bleibt mir. Die Entscheidung, es nicht mehr ertragen zu wollen.
Sie hatte
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