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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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vorgesorgt. Morphium. Ihr Mann war Arzt gewesen, über befreundete Kollegen war es damals nicht schwer gewesen, an die Tabletten zu kommen. Sie hatte eine Menge gehortet. Die extreme Überdosis würde ausreichen, sie einschlafen und niemals wieder aufwachen zu lassen. Die Packungen lagen im Badezimmerschrank, ganz hinten, aber kaum verdeckt von einer Schachtel mit Aspirin, einem Fläschchen mit Schnupfenspray und den verschiedenen Schlafmitteln. Manchmal in den letzten Monaten hatte sie sich minutenlang an die offene Schranktür gestellt und einfach nur diese Packungen angestarrt. Manchmal hatte ihr dies noch eine Spur Kraft verliehen.

    An diesem Tag nun wusste sie, dass es nicht funktionieren würde. Der bloße Anblick ihrer Tabletten würde sie nicht mehr aufrichten. Ihre Kräfte hatten sich erschöpft. Der Kampf gegen die Depression war nicht zu gewinnen. Der Gedanke, ihn endgültig aufzugeben, nahm einen immer wärmeren, verführerischen Glanz an.
    Ein Leben lang, dachte sie an diesem Morgen, lernen wir, dass man nie aufgeben darf. Deshalb fällt es so schwer. Deshalb sind so viele Widerstände in uns. Und Schuldgefühle. Die vor allem.
    Sie lauschte in sich hinein. Sie konnte ihre Schuldgefühle nicht finden an diesem Morgen. Falls sie überhaupt noch da waren, so gelangte sie jedenfalls nicht in Kontakt mit ihnen, und dies war ein Umstand, den sie unbedingt nutzen musste. Schuldgefühle stellten die stärksten Hindernisse bei der Planung und Durchführung eines Selbsttötungsprojektes dar. Ihr Verstummen bedeutete, dass das Schicksal ihr eine Chance gab.
    Eigentlich war an diesem Tag alles wie immer gewesen. Sie war früh aufgestanden, hatte ihren Jogginganzug angezogen und war in den Garten gegangen. In einen schon sehr hellen Morgen hinein, dessen klare Luft noch angenehm auf der Haut prickelte und auf den Lippen nach Meersalz schmeckte. Später würde es heiß werden, sehr heiß und sehr sonnig.
     
    Der Garten war Felix’ große Liebe gewesen. In den Garten hatte er sich verliebt, als sie beide beschlossen hatten – acht Jahre lag das nun zurück –, ein Haus in der Provence zu kaufen, irgendwo am Meer, ein kleines Häuschen mit viel Land drumherum. Eigentlich waren sie gar nicht ganz sicher gewesen, ob sie das wirklich wollten; Rebecca hatte zunächst den Eindruck, es ginge eher darum, herumzufahren, zu träumen, Objekte anzusehen. Sie waren beide damals besonders stark
beruflich eingespannt gewesen, hatten daheim in München ein zwar glückliches, aber sehr stressgeplagtes Leben geführt. Der Gedanke allein an ein Refugium weit weg, an einen Ort zum Abschalten, Vergessen, Entspannen hatte oft schon ausgereicht, sie das Gehetze des Alltags leichter ertragen zu lassen. Aber dann hatte ein Foto im Schaukasten eines Maklerbüros sie nach Le Brusc geführt, dicht am Cap Sicié gelegen, jenem inmitten der heiteren Mittelmeerlandschaft stets etwas düster anmutenden Felsen aus schwarzem Gestein, dessen Umschiffung unter den Seeleuten als gefährlich und stets unberechenbar galt. Plötzlich schienen sich der schöne Gedanke, der gern geträumte Traum in greifbare Wirklichkeit verwandeln zu wollen.
    »Ich weiß nicht, ob es mir hier so gut gefällt«, hatte Rebecca gesagt, als sie sich mit dem Auto über steile, enge Straßen nach oben schraubten. Die Gegend war dicht bewaldet, und es war, als bewege man sich aus der Sonne des Tages in eine Welt der Schatten hinein.
    »Lass uns einfach mal schauen«, hatte Felix gesagt.
    Sie waren an verwilderten Wiesen vorbeigekommen und an alten, baufälligen Häusern, die in völlig zugewucherten Gärten kauerten. Ein Zigeunercamp mit bunt bemalten Wagen am Wegesrand … Obstbäume, überraschend gepflegt angelegt wie in einer Plantage … dann wieder Wald. Es gab keine asphaltierte Straße mehr, sondern nur noch einen Feldweg voller Schlaglöcher, in denen die Pfützen eines wenige Tage zurückliegenden Regengusses standen.
    »Das ist ja am Ende der Welt«, sagte Rebecca, und sie konnte hören, dass ein Schaudern in ihrer Stimme klang.
    Eines der letzten Häuser schien dem Bild aus dem Schaukasten am ehesten zu entsprechen. Jedenfalls war das Grundstück von einem reichlich baufälligen weißen Lattenzaun umgrenzt, und an diesen Zaun meinte sich Felix zu erinnern.
Das Haus selber schimmerte weiß durch eine Wand aus Gestrüpp hindurch. Rebecca fröstelte unwillkürlich, als sie ausstieg, und ihr erster Gedanke war: Nie. Nie könnte ich es hier auch nur eine einzige Woche

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