Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
aber sie erinnerte sich, wie wichtig es ihr von Anfang an gewesen war, im guten Einvernehmen mit ihrer Nachbarschaft zu leben. Es kostete sie eine Menge Kraft, an den Zaun zu treten und in das böse Gesicht ihres Gegenübers zu lächeln.
    »Guten Tag. Es tut mir Leid, dass mein Hund Sie stört, aber …«
    »Im Sommer halte ich meinen Mittagsschlaf auf der Terrasse«, knurrte die Alte, »und es ist nicht besonders idyllisch, wenn nebenan ständig ein Hund kläfft.«
    »Ich weiß einfach nicht, was er hat. Er bellt sonst fast nie. Irgendetwas stört ihn seit ein paar Tagen am Haus nebenan. Er kommt mir richtig wütend vor.«
    Es war klar, dass es die Alte kaum interessierte, warum der Hund bellte, sondern dass ihr lediglich daran lag, dass er damit aufhörte.
    »Die hatten bis vor zwei Jahren auch einen Hund«, sagte sie und warf Karen dabei einen so giftigen Blick zu, als mache sie sie persönlich für diesen Umstand verantwortlich. »Die da drüben aus dem anderen Haus. Der hat pariert, sage ich Ihnen! Den hat man nie bellen hören.«

    »Nun …«, begann Karen, aber die Alte fuhr schon fort: »Die haben mir das so erklärt, dass sich ein Hund total unterordnen muss. Er muss wissen, dass er der Letzte in der Familie ist, verstehen Sie? Den niedrigsten Rang hat, oder wie immer Sie das nennen wollen. Der musste bei denen immer als Letzter durch die Tür gehen, und er hat auch immer als Letzter zu fressen gekriegt. Wenn einer von denen spät nach Hause kam, musste der Hund notfalls die halbe Nacht warten. So haben sie ihn kleingekriegt.«
    Karen schnappte nach Luft. »Das ist doch abartig«, entfuhr es ihr.
    Die Alte zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls waren sie immer ganz stolz darauf, dass er nichts getan hat, was sie nicht wollten. Absolut nichts. So ein undiszipliniertes Gekläffe wie bei Ihrem hätte es da nicht gegeben.«
    Irgendetwas regte sich in Karen, ganz tief unter den dicken Schichten von Traurigkeit und Resignation. Es mochte Wut sein, ein ganz kleines, züngelndes Flämmchen Wut, dem der Sauerstoff fehlte, um zur großen Flamme, zum lodernden Feuer zu werden, das aber zumindest – zu Karens großem Erstaunen – noch nicht völlig erloschen war. Mit ihrer Wut war sie schon seit ewigen Zeiten nicht mehr in Berührung gekommen. Erst in diesem Augenblick nahm sie sie plötzlich wahr – angesichts dieser verknöcherten, missmutigen Person vor sich und in Gedanken an einen armen, längst verstorbenen Hund, dessen Familie einzig daran lag, ihn wieder und wieder seiner untergeordneten, rechtlosen Position zu versichern.
    »Ich jedenfalls habe nicht die Absicht, den Willen meines Hundes zu brechen«, sagte sie kühl, und zu ihrer Verwunderung veränderte die Härte, mit der sie dies sagte, plötzlich etwas im Verhalten der Alten: Sie lenkte ein.
    »Na ja, sind schon komische Leute«, meinte sie, »irgendwie
… selbstherrlich. Er jedenfalls. Sie … na ja. Kommt mir immer ein bisschen schwermütig vor. Und arrogant. Die haben nicht viele Freunde, jedenfalls kommt nie jemand zu Besuch. Es gibt auch keine Kinder und Enkel, ich hab sie mal danach gefragt. Scheinen ganz allein in der Welt zu stehen. Aber das geht mich nichts an. Hatte nie viel mit ihnen zu tun. Wollte auch nie etwas mit ihnen zu tun haben.«
    »Haben Sie eine Ahnung, ob sie verreist sind? Die Rollläden sind dauernd geschlossen.«
    »Ich kümmere mich nicht um das, was andere tun. Damit bin ich immer gut gefahren. Ich habe meine Nase ausschließlich in meine eigenen Angelegenheiten gesteckt. Misch dich nicht ein, dann bekommst du auch keine Schwierigkeiten, das war immer mein Motto. Ich meine, das eigene Leben ist problematisch genug, finden Sie nicht? Da brauche ich mir nicht noch die Schwierigkeiten anderer ans Bein zu binden. «
    »So einfach ist das aber manchmal nicht.«
    »Bei mir schon«, behauptete die Alte, und Karen dachte, dass sie damit schrecklicherweise vielleicht sogar Recht hatte. Ihr erschien die alte Frau vollkommen mitleidlos, völlig ungerührt von allem, was sich um sie herum abspielen mochte.
    Man könnte zu ihren Füßen verenden, und es würde sie nicht interessieren, dachte Karen, und ein Schauer lief durch ihren Körper. Gleichzeitig fuhr eine heftigere, heiße Windbö heran. Der Himmel war jetzt schwefelgelb, und in der Ferne war ein leises Grollen zu hören.
    »In der Nacht von Sonntag auf Montag«, sagte Karen, »war drüben Licht, und einer der Rollladen war hochgezogen. Aber am nächsten Morgen rührte sich

Weitere Kostenlose Bücher