Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
nur deinetwegen gekommen.«
»Das habe ich mir schon gedacht.« Selbst ihre Stimme war anders als früher. Es fehlte die Wärme, und auch die weiche Klangmelodie war völlig verschwunden. Eigentlich war die Stimme so emotionslos wie ihre Augen. »Weshalb hättest du auch hier in der Gegend sein sollen?«
»Eben«, stimmte er zu, »ich bin früher wegen euch gekommen. Und jetzt wegen dir.«
Sie sah ihn an. »Du musst dir keine Sorgen um mich machen, Maximilian. Ich habe alles, was ich brauche. Felix hat mir genug Geld hinterlassen, um …«
Er unterbrach sie. »Entschuldige, Rebecca, aber es geht
doch hier nicht um die Frage, ob du alles hast, was du brauchst! Oder ob dein Geld reicht! Ich mache mir natürlich Sorgen um dich! Du hast dein ganzes Leben in Deutschland fast von einem Tag auf den anderen abgebrochen und bist hier in Südfrankreich untergetaucht, wo du keinen Menschen kennst, keine Arbeit hast und völlig allein in einer Einöde lebst. Du hast dich nicht ein einziges Mal mehr gemeldet! Ich habe es jetzt einfach nicht mehr ausgehalten. Ich musste herausfinden, ob du überhaupt noch lebst!«
Sie lächelte ein wenig. Eigentlich war es eher ein leichtes Verziehen des Mundes, das man mit einer Menge gutem Willen als Lächeln interpretieren konnte. »Woher wusstest du überhaupt, dass ich hier bin?«
»Das habe ich geraten. Es konnte im Grunde nur dieser Ort sein: der Platz, den Felix am meisten geliebt hat. Ich dachte mir, dass du dich hierher zurückziehen würdest.«
»Eben«, sagte sie, »du siehst es ja selbst. Der Platz, den Felix am meisten geliebt hat. Deshalb geht es mir hier gut.«
Er merkte, dass er fast zornig wurde, musste sich beherrschen, um sie dies nicht spüren zu lassen. »Also, nimm es mir nicht übel, Rebecca, aber wie eine Frau, der es gut geht, siehst du wirklich nicht aus! Du bist kreidebleich im Gesicht, dünn wie ein Zaunpfahl, und du bewegst dich wie in Trance. Du müsstest dich einmal erleben. Und es ist ja auch kein Wunder. Du lebst hier in der Gesellschaft eines Toten, und das ist …«
Er sah, dass sie heftig zusammenzuckte.
»Entschuldige«, sagte er, sanfter nun, »aber es kommt mir so vor. Hier sind so viele Erinnerungen an Felix, aber er selbst ist eben nicht da.«
»Ach ja?«, fragte sie zynisch. Sie zündete sich eine Zigarette an. Ihre Finger zitterten leicht.
»Du sollst ihn ja nicht vergessen«, sagte Maximilian. »Das
wird sowieso keinem von uns jemals gelingen. Aber wir müssen doch trotzdem leben.«
»Wer sagt, dass wir das müssen?«
Er seufzte. »Du brauchst Menschen um dich. Freunde. Bekannte. Eine Arbeit, die dich ausfüllt. Deswegen verrätst du ihn doch nicht. Und du verlierst auch nicht die Erinnerung. Auch das Haus hier bleibt dir. Du kannst ja jederzeit …«
»Maximilian«, sagte sie, und nun lag etwas sehr Bestimmtes in ihrer zuvor so tonlosen Stimme, »ich habe dich nicht gebeten, dich in mein Leben einzumischen. Du wolltest mich besuchen, und ich habe zugestimmt. Aber ich möchte mich jetzt nicht für irgendetwas vor dir rechtfertigen. Wie ich lebe, das ist meine Sache.«
Er nahm sich ebenfalls eine Zigarette. Er hatte eigentlich mit dem Rauchen aufgehört, aber in diesem Moment meinte er, es ohne Zigarette nicht auszuhalten.
»Er war mein bester Freund«, sagte er heftig, »und du warst seine Frau. Ich bin es Felix schuldig, dass ich dich nicht einfach vor die Hunde gehen lasse, und deshalb wirst du mich nicht so leicht abschütteln können, wie du dein übriges Leben abgeschüttelt hast. Herrgott noch mal«, er stand auf und fuchtelte mit seiner Zigarette herum, »ich wünschte, er hätte dich wenigstens nicht so umfassend finanziell abgesichert! Dann müsstest du arbeiten! Dann könntest du nicht hier herumsitzen und die Wände anstarren.«
Sie erhob sich ebenfalls. Ihr Gesicht glich wieder einer Maske. Ohne dass sie etwas sagte, wusste er ihre Bewegung zu deuten: Sie wollte, dass er ging. Was sie betraf, war ihre kurze Begegnung schon zu Ende.
»Rebecca«, bat er hilflos.
Sie antwortete nicht. In dem Schweigen, das zwischen ihnen lag, hörten sie leise das Gartentor quietschen.
Sie runzelte die Stirn.
Es kommt nie ein Mensch zu ihr, dachte er, und wenn das Tor quietscht, macht sie ein Gesicht wie andere, wenn die Erde bebt.
»Das gilt mir«, sagte er, »meine Reisebekanntschaft vermutlich. «
Es schien sie nicht zu interessieren. Aber immerhin öffnete sie den Mund, und zum ersten Mal, seitdem er sie wiedergesehen hatte,
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