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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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blickten ihre Augen zumindest konzentriert drein.
    »Könntest du dir vorstellen, die Libelle zu übernehmen?«, fragte sie.
    6
    Inga hatte allmählich Angst um ihre Füße bekommen. Sie hatte pochende Schmerzen, die von den Blasen bis zu den Knöcheln hinaufstrahlten. Während Marius das Zelt aufbaute, hatte sie die Verbände abgewickelt und war vor den blutigen Kratern erschrocken, die schlimmer statt besser geworden zu sein schienen.
    »Ich glaube«, sagte sie, »ich brauche einen Arzt.«
    Marius kämpfte gerade mit Stangen und Planen. Maximilian Kemper hatte sie vor einem leeren, völlig verwilderten Grundstück abgesetzt, das sich neben dem Anwesen einer Bekannten befand, die er besuchen wollte. Hohes Gras und ineinander verschlungene Rosenranken bildeten ein fast undurchdringliches Gewirr, aber irgendwie hatten sie sich zu einem schattigen Platz unter hohen Bäumen vorangekämpft und ein vermoostes Stück Wiese entdeckt, das sich zum Aufbau des Zeltes eignete. Marius war weitergelaufen und hatte
begeistert berichtet, dass weiter hinten die Klippen begannen und zum Meer abfielen.
    »Das musst du sehen, das musst du sehen!«, hatte er gerufen, aber Inga hatte nur erwidert: »Jetzt nicht, Marius. Ich kann fast nicht mehr laufen. Ich kann dir nicht mal mit dem Zelt helfen. Meine Füße tun höllisch weh.«
    »Kein Problem. Ich mach das allein! Bleib einfach sitzen und ruh dich aus!«
    Jetzt, nach ihrer Bemerkung über einen Arzt, den sie möglicherweise würde konsultieren müssen, sah er von seiner Arbeit auf. »Echt?«, fragte er. »Ist es so schlimm?«
    »Sieht so aus.«
    Er trat näher heran, betrachtete ihre Füße. »Lieber Himmel. Das ist wirklich schlimm. Das muss ja wahnsinnig weh tun!«
    »Es ist nicht gerade ein Vergnügen. Ich müsste irgendeine Salbe gegen die Entzündung haben.«
    Er überlegte. »Weißt du, ich werde nach nebenan gehen. Vielleicht hat Maximilians Bekannte etwas da, was dir helfen könnte. Oder Maximilian fährt dich zum Arzt.«
    »Mir ist das ein bisschen peinlich«, sagte Inga, aber sie wusste doch, dass sie keine Wahl hatte, als den netten Mann, der sie beide hierher gebracht hatte, noch einmal um einen Gefallen zu bitten.
    Sie sah hinter Marius her, wie er leichtfüßig zwischen den hohen Gräsern verschwand. Sie hatten ihn in dem kleinen Dorf im Norden der Provence rasch gefunden, nachdem sie um ein paar Straßenecken gekurvt waren. Er saß im Schatten eines Olivenbaums und döste vor sich hin. Inga hatte nach Luft geschnappt.
    »Auf diese Weise kann er natürlich keinen Supermarkt finden«, hatte sie gesagt, und Maximilian hatte gelacht. »Einen Supermarkt gibt es hier auch mit Sicherheit nicht.«

    Marius war hochgeschreckt, als das Auto vor ihm hielt, und er hatte Inga ziemlich ungläubig angesehen. »He! Was ist los? Woher …?«
    »Steig ein«, sagte Inga kühl. »Während du hier friedlich gedöst hast, habe ich eine Mitfahrgelegenheit ans Meer organisiert. «
    Er war sichtlich peinlich berührt. »Mir war schwindlig. Wahrscheinlich von der Hitze. Ich wollte mich eigentlich nur ganz kurz hinsetzen, aber … ich bin wohl eingeschlafen …« Er rieb sich die Augen. Inga hatte ihre giftigen Gedanken bedauert. Sie selbst war nicht mehr in der Lage, auch nur einen Schritt zu tun, aber Marius hatte gefälligst zu funktionieren.
    Sie hatte Marius und Maximilian einander vorgestellt, und Maximilian hatte noch einmal wiederholt, dass er zum Cap Sicié wollte.
    »Ich besuche dort eine alte Freundin. Wenn Sie mitmöchten …«
    Marius hatte natürlich sofort wieder Oberwasser gehabt, so als habe er immer prophezeit, es käme jemand vorbei, der sie direkt ans Mittelmeer bringen würde. Er bekam ebenfalls etwas zu trinken und hielt Inga triumphierend seinen emporgereckten Daumen entgegen. Sie hatte ihre schmerzenden Füße betrachtet und gedacht, wie schnell doch bei ihm immer alles ging, wie rasch er knapp überstandene Schwierigkeiten verdrängte. Aber das mochte auch daran liegen, dass ihn Probleme nie derart bedrängten und berührten, wie das bei ihr der Fall war. Sie war in Panik gewesen, nicht er. Sie hatte von Anfang an nur Schwierigkeiten bei der geplanten Reise gesehen. Sie hatte gemeint, niemand werde erscheinen, um sie aus der misslichen Lage zu erlösen. Sie war beinahe zusammengebrochen. Er nicht. Er brach nie zusammen. Weil er mutiger, zuversichtlicher, selbstsicherer war? Seltsamerweise waren sowohl Mut als auch Zuversicht und Selbstsicherheit
keine Attribute, die sie

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