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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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wieder nichts. Es ist seltsam, nicht? Ich habe ein paarmal geklingelt, aber es gab keine Reaktion.«
    »Was woll’n Sie denn unbedingt von denen?«

    Karen erklärte kurz das Problem mit der geplanten Reise und der Post, die sich dann im Briefkasten stapeln würde.
    Die Alte schien mit sich zu ringen, sagte aber schließlich: »Das kann ich auch für Sie tun. Bringen Sie mir vorher Ihren Briefkastenschlüssel, dann erledige ich das.«
    »Ach, Sie würden mir einen riesigen Gefallen erweisen«, sagte Karen, aufrichtig dankbar, »das ist wirklich nett von Ihnen.«
    Die Alte knurrte etwas und wandte sich zum Gehen. Karen nahm an, dass das Gespräch damit beendet war. Sie rief noch einmal nach Kenzo, der diesmal ihrer Aufforderung zu kommen tatsächlich Folge leistete. Angstvoll winselnd schaute er zum Himmel. Es war eindeutig eher der Respekt vor dem drohenden Gewitter als der vor seinem Frauchen, der ihn veranlasste, sich in sein Körbchen im Haus zurückzuziehen.
    »Bleib du hier«, sagte Karen zu ihm, »ich bin gleich wieder da.«
    Sie war auf eine Idee gekommen.
    Ich sehe einfach mal nach, dachte sie.
    Obwohl bereits die ersten Regentropfen fielen, lief sie aus dem Haus und rasch hinüber zu den Nachbarn. Sie musste gar nicht bis an das Gartentor herantreten, um zu sehen, was sie hatte sehen wollen: einen Briefkasten, aus dem die Ecke eines Briefumschlags ragte. Und vor allem eine Zeitungsröhre, in der sich zwei Zeitungen knäulten. Eine weitere lag auf der Mauer und würde nun im Regen aufweichen.
    Sie waren nicht da. Und sie hatten offenbar niemanden beauftragt, sich um ihren Briefkasten zu kümmern. Sie hatten auch nicht daran gedacht, die Zeitung abzubestellen.
    Und das passte einfach nicht zu ihnen. So wenig Karen die beiden kannte, so sicher hätte sie dennoch behauptet, dass sie nicht verreisen und ein Chaos hinterlassen würden. Diese
Leute mochten unsympathisch sein und selbstherrlich, und ganz offenbar hatten sie auch einen tief sitzenden Autoritätskomplex, aber sie waren ordentlich, hatten ihr Leben gut im Griff und waren ganz sicher nicht im Mindesten chaotisch.
    Sie starrte das stille Haus mit seinen herabgelassenen Rollläden an. Der Regen wurde stärker, und sie hob fröstelnd die Schultern. Ohne zu wissen, ob ihr Frieren mit dem Regen zusammenhing.
    Wie hatte die Alte vor ein paar Minuten gesagt? Ich brauche mir nicht noch die Schwierigkeiten anderer ans Bein zu binden!
    Langsam wandte sich Karen zum Gehen.
    5
    Er war entsetzt, Rebecca in dieser Verfassung vorzufinden. Er hatte sie zuletzt bei Felix’ Beerdigung gesehen, als sie geschockt, verzweifelt und durcheinander gewesen war, aber sie war bei aller sichtbaren Erschütterung immer noch die Frau gewesen, als die er sie gekannt hatte. Jetzt, neun Monate später, meinte er, einem völlig veränderten Geschöpf gegenüberzustehen.
    Sie hatte stark abgenommen, aber das war zu erwarten gewesen, und er hatte damit gerechnet. Da sie sich trotz des Verlustes von mindestens zwölf Kilo offensichtlich keine neuen Kleider gekauft hatte, hingen Hose und T-Shirt wie Säcke an ihr und verstärkten den Eindruck erbarmungswürdiger Magerkeit. Sie war gespenstisch blass, durchsichtig fast, und hatte eine völlig veränderte Physiognomie: Ihre Wangen waren so eingefallen, dass die Knochen darüber höher und
breiter wirkten als früher. Sie wirkte härter als vorher, und um einiges älter als die dreiundvierzig Jahre, die sie zählte.
    Wovor er aber wirklich erschrak, war der stumpfe – beinahe hätte er gedacht: tote – Ausdruck in ihren Augen. Es waren trübe Augen, ohne jeden Glanz, ohne jedes Funkeln, aber auch ohne jede Emotion. Er hätte nicht einmal sagen können, dass es traurige Augen waren. Einfach Augen ohne Gefühlsausdruck. Leere Augen. Als sei sie mit ihm gestorben, dachte er voller Bestürzung.
    Sie saßen auf der rückwärtigen Terrasse, vor sich die fantastische Kulisse der Felsen, des Meeres und des leuchtend blauen Sommerhimmels. Rebecca hatte Salate, Käse, Baguette und einen leichten Weißwein auf den Tisch gestellt. Sie selber nippte nur am Wein, und das Essen rührte sie überhaupt nicht an.
    Nachdem sie beide längere Zeit geschwiegen hatten – ein Schweigen, das für Maximilian von dem unangenehmen Gefühl begleitet war, dass Rebecca auf nichts so sehr wartete wie darauf, dass er endlich ginge –, sagte er unvermittelt: »Es stimmt nicht, was ich heute Mittag am Telefon sagte. Dass ich ohnehin in der Gegend bin. Ich bin im Grunde

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