Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
es hier ist, dachte Inga. Sie saß vorne im Bug und löste auf Marius’ Geheiß die Festmacher, während Marius sich im Heck am Ruder platziert hatte.
Langsam schob sich die Libelle aus ihrem Liegeplatz. Eine Möwe, die bis zu diesem Moment auf der Spitze des Mastes ausgeharrt hatte, hob sich mit empörtem Geschrei in die Luft.
»Es geht wirklich los!«, rief Inga.
Sie sah, dass Maximilian die Hand zum Abschiedsgruß hob. Albert, der neben ihm stand, trug noch immer seine
skeptische Miene zur Schau. Inga wusste nicht recht, worauf sich diese gründete. Auf das Wetter? Oder war die Libelle inzwischen sein Kind, sein Kleinod, das er mit einiger Eifersucht hütete? Er mochte nicht einverstanden sein, dass Rebecca ihr Schiff den beiden Fremden anvertraute, aber natürlich konnte er nichts dagegen tun, und vielleicht war dies der Grund für den Ausdruck von Missmut in seinem Gesicht.
Egal. Es konnte ihr gleich sein. Es war ein schöner Tag, und sie würde ihn ganz allein mit Marius, dem Mann, den sie liebte, auf einem Schiff verbringen.
Sie blinzelte, als sich ein Schatten zwischen sie und die Sonne schob. Es war Marius, der das Steuer für einen Augenblick verlassen hatte, um sich seine Baseballmütze zu schnappen und zum Schutz gegen die Sonne auf den Kopf zu setzen.
»Inzwischen müsstest du doch mal zugeben, dass die Idee, in den Süden zu fahren, doch nicht so schlecht war«, meinte er.
Sie musste lachen. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der auf ein besonderes Lob wartet.
»Es war eine grandiose Idee«, sagte sie, »und ich bin froh, dass ich mich mit meinem Geunke und meiner Schwarzseherei nicht durchgesetzt habe. Zufrieden?«
Er grinste. »Das wollte ich nur hören«, sagte er und kehrte dann mit einem schnellen Sprung an das Ruder zurück.
Denn nun verließen sie den Hafen, und vor ihnen breitete sich blau und endlos das Meer aus, und gleich würden sie unter vollen Segeln dahingleiten.
2
Das Gartentor von Rebeccas Grundstück quietschte wie üblich, als Maximilian es öffnete, und wie jedes Mal, wenn er hindurchging, musste er sofort wieder an den Ausdruck von Genervtheit in Rebeccas Gesicht denken und an ihr Seufzen, und dieser Gedanke lähmte unwillkürlich seine Schritte, ließ ihn sich unsicher und zögernd bewegen.
Diesmal traf er sie in der Küche an. Die Verandatür stand offen, daher ging er ohne anzuklopfen ins Haus. Rebecca wischte gerade wie eine Verrückte mit einem Lappen die ohnehin blitzsaubere Arbeitsplatte noch sauberer. Es war so untypisch. Ihr Haushalt früher war eher verschlampt gewesen, weil sie weder die Zeit gehabt hatte, sich selbst darum zu kümmern, noch die Lust, ihre ziemlich faule Putzfrau zu kontrollieren. Wenn er sie und Felix besuchte, hatte ihn das leichte Chaos stets amüsiert und ihm ein heimeliges Gefühl gegeben. Er hatte manchen Abend in ihrer großen unordentlichen Küche am Tisch gesessen, ein Glas Wein getrunken und ihr zugesehen, wie sie Spaghetti kochte und hektisch in einer Fertigsoße rührte.
Die vollkommen veränderte Frau, die er jetzt vor sich hatte, machte ihm immer mehr Angst.
»Hallo, Rebecca«, sagte er.
Sie hatte natürlich das Tor gehört, vermutlich auch zuvor schon den Motor seines Autos, und so erschrak sie nicht, sondern wischte ungerührt weiter den nicht vorhandenen Dreck hin und her.
»Die beiden sind losgesegelt«, berichtete er. »Dieser Marius ist wirklich ein Profi, das konnte man beim Auftakeln des Schiffes sofort merken. Sorgen musst du dir also keine machen.«
»Ich mache mir keine«, entgegnete Rebecca.
»Ich habe ihnen versprochen, sie um vier Uhr im Hafen abzuholen. Albert sagt, wir bekommen Mistral, und deshalb müssen die beiden früher zurück sein.«
»Das ist sicher vernünftig.«
»Ja …« Unschlüssig sah er sie an, und dann, plötzlich von einer ganz unerwartet heftig aufwallenden Wut ergriffen, schoss sein Arm vor, er packte ihr Handgelenk und zwang sie, mit ihrer idiotischen Tätigkeit aufzuhören.
»Verdammt, Rebecca, ich kann das nicht sehen! Ich kann das einfach nicht länger mit ansehen! Wie du dich hier in dieses Haus einsperrst und dein Leben verplemperst und deine Zeit damit zubringst, eine total saubere Küche zum wahrscheinlich hundertsten Mal in den letzten beiden Tagen zu putzen! Das ist krank! Das bist nicht du! Das ist die schlimmste und furchtbarste Verschwendung von Leben und Energie und Fähigkeiten, die ich je habe mit anschauen müssen! «
Sie versuchte sich aus seinem Griff zu winden.
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