Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
wenn ich zurück bin – würde gerne mal wissen, was du davon hältst. Bis dahin alles Liebe, Agneta.«
    Das Herzklopfen wurde wieder stärker. Clara blieb stehen.
    Was meinte Agneta?
    Sie hatten sich seit ungefähr drei Jahren nicht mehr gesehen. Ohnehin waren sie nie dicke Freundinnen gewesen. Kolleginnen, die sich gut verstanden, die einander sympathisch waren, aber mehr nicht. Außer in beruflichen Fragen hatte nie eine den Rat der anderen gesucht, selten hatten sie über Privates gesprochen. Clara war bei Agnetas Hochzeit mit dem reichen Typen gewesen, und pflichtschuldig hatte sie ein halbes Jahr später Agneta zu ihrer eigenen Hochzeit mit Bert
eingeladen. Ja, und sie hatte ihr eine Anzeige geschickt, als im vergangenen Jahr Marie geboren wurde. Daher hatte Agneta die Adresse. Aber sie hatte ihr noch nie eine Ansichtskarte geschickt, geschweige denn ihr gegenüber von Problemen gesprochen, zu denen sie ihre Ansicht hören wollte.
    Das passte nicht. Agneta hatte eigene Freundinnen, Clara auch. Warum also …?
    Es sei denn …
    Clara schaute wieder auf die Karte, die ganz leise in ihrer Hand zitterte. Agneta schrieb nicht einfach von einem Problem. Sondern von unschönen Erlebnissen in der letzten Zeit . Und davon, dass sie ziemlich mit den Nerven fertig gewesen sei.
    Es war genau das, was sie, Clara, auch von sich gesagt hätte. Unschöne Erlebnisse, die hatte sie, weiß Gott, gehabt, und eine Frau, die mit weichen Knien zum Briefkasten ging, deren Hände zitterten, wenn sie ihn öffnete, die abends nicht einschlafen konnte und nachts bei jedem Geräusch hochschreckte, war wohl eindeutig mit den Nerven fertig.
    Agneta hatte die gleichen Briefe erhalten, und sie wandte sich an die ehemalige Kollegin, weil die Briefe etwas mit ihrer einstigen gemeinsamen Arbeit zu tun hatten. Es machte für sie keinen Sinn, irgendeine Freundin oder Bekannte anzusprechen. Es musste jemand von damals sein. Aus der Zeit, da sie beide beim Jugendamt gearbeitet hatten.
    Clara ging ins Haus zurück, schloss sehr sorgfältig die Haustür hinter sich. Es war ein heißer Tag, und für gewöhnlich hätten alle Türen offen gestanden, um die Wärme und den Duft des Hochsommers in die Räume fluten zu lassen. Seitdem sie die Briefe bekommen hatte, wagte es Clara jedoch kaum noch, auch nur ein Fenster schräg zu stellen. Die Angst hatte sich in ihr Leben geschlichen, hatte sich dick und breit darin eingenistet und schien nicht gewillt, es wieder zu
verlassen. Alles hatte sich verändert. Und das gerade jetzt. Ausgerechnet. Seit der Geburt Maries im September des letzten Jahres hatte Clara Tag für Tag immer wieder gedacht, wie schön, wie glücklich und wie vollkommen sich doch alles in ihrem Leben gefügt hatte. Nicht, dass sie früher ein Trauerkloß gewesen wäre. Sie hatte auch ihren Beruf gemocht. Am Anfang zumindest. Später … hatte er an den Nerven gezerrt, und sie hatte genau gespürt, dass sie im Grunde zu zart besaitet war, um sich dauerhaft mit der harten, oft allzu brutalen Welt derer zu konfrontieren, die auf der Schattenseite der Gesellschaft lebten und mit Wut und Gewalt die Frustration über ihr Dasein kompensierten. Es war lange Jahre in Ordnung gewesen, aber dann hatte sie sich verabschiedet, und sie war froh darüber. Sie liebte Bert und war sicher, dass sie mit ihm für immer zusammen bleiben würde. Er war nicht reich, und wahrscheinlich würden sie nie auf die Malediven fliegen wie Agneta, aber sie hatten ihr Auskommen, wie man so sagte, und noch dazu hatte Bert von seinen Eltern das kleine Häuschen geerbt, vor den Toren Münchens, fast schon ländlich gelegen. Marie würde mit einem Garten aufwachsen, in dem sie spielen konnte, und mit Wiesen und Wäldern, die gleich jenseits des Gartenzauns begannen. Ebenso wie ihre Geschwister. Clara wollte noch mehr Kinder, aber sie war schon einundvierzig, und wer wusste, ob ihr das Glück noch einmal vergönnt sein würde. Wenigstens hatte sie Marie. Sie ging auf in ihrer Mutterrolle. Sie hätte nichts, aber auch gar nichts in ihrem Leben verändern mögen.
    Sie wollte nur, dass dieser Mensch ihr nicht mehr schrieb. Obwohl sie ahnte, dass die Angst sie selbst dann, wenn nie wieder ein Brief käme, nicht verlassen würde. Jedenfalls nicht für lange Zeit. Der Typ war irgendwo da draußen. Sie würde nie mehr so tun können, als habe es ihn nicht gegeben.

    Sie stellte die Karte von den Malediven vor das Schlüsselbrett im Eingang. Ein warmes, sonniges Bild. Agneta hatte es gut,

Weitere Kostenlose Bücher