Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
»Lass mich sofort los, Maximilian! Sofort!«
»Nein. Weil du dann wieder anfängst, diese arme Holzplatte zu bearbeiten, bis du irgendwann ein Loch in sie hineingescheuert hast! Ich werde morgen nach Deutschland zurückfahren, und ich werde mich dann nie wieder in deinem Leben blicken lassen, aber vorher will ich dir wenigstens noch sagen, dass ich kein Verständnis mehr für dich habe. Nicht was die Larmoyanz und die Feigheit angeht, mit denen du alles wegwirfst, was dir trotz Felix’ Tod geblieben ist. Deine Trauer ist verständlich, dein Schmerz. Tränen, Anklagen, was auch immer. Aber es ist nicht verständlich, dass du offenbar vorhast, die verbleibenden fünfzig Jahre deines Lebens in dieser gottverdammten Einöde völlig allein damit zu verbringen, von morgens bis abends ein ohnehin keimfreies
Haus zu putzen und beim Quietschen deines Gartentors förmlich zu erstarren, weil tatsächlich irgendein menschliches Wesen zu dir vordringen könnte, und sei es bloß der Briefträger!«
Es gelang ihr endlich, ihr Handgelenk aus seiner Umklammerung zu winden. Sie knallte den Wischlappen, den sie noch immer festgehalten hatte, mit aller Kraft auf den Fußboden. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft gewahrte Maximilian Leben in ihren Augen. Sie funkelten vor Wut.
»Wer«, schrie sie, »sagt dir, verdammt noch mal, dass ich vorhabe, noch fünfzig Jahre zu leben?«
Er trat einen Schritt zurück. Es war mit einem Schlag sehr still in der Küche. Nur das leise Brummen des Kühlschranks war noch zu hören.
»So ist das also«, sagte Maximilian nach einer Weile, »so ist das. Seltsam. Als ich in München saß und beschloss, mich auf den Weg zu dir zu machen, war der Gedanke, der mich trieb: Ich habe ein dummes Gefühl. Rebecca wird sich doch am Ende nichts antun? Ich sagte mir, das sei Unsinn. Ich kannte dich ja. Eine starke Frau voller Willenskraft. Keine, die sich unterkriegen lässt, sondern die die Zähne immer wieder von neuem zusammenbeißt. Und trotzdem konnte ich mich irgendeiner dummen Ahnung nicht erwehren, und sie wurde so stark, dass ich schließlich losfahren musste. Und ganz offenbar hat mich mein Instinkt nicht getrogen.«
Sie hatte sich wieder unter Kontrolle, bückte sich, hob den Lappen auf und legte ihn hinter sich in die Spüle. Als sie sich Maximilian wieder zuwandte, sah sie nicht länger wütend, sondern zynisch aus.
»Erzähl mir doch nichts, Maximilian. Wir wissen doch beide, warum du gekommen bist.«
Er holte tief Luft. »Rebecca …«
»Seit deiner Scheidung – nein, ich glaube, sogar vorher
schon – warst du hinter mir her, und das Fatale war nur, dass ich die Frau deines besten Freundes war, und dass du wusstest, ich musste ein absolutes Tabu für dich bleiben. Aber jetzt ist Felix tot, und nach einer dir angemessen erscheinenden Zeit hast du dir gedacht …«
»Rebecca!«, sagte er scharf. »Sprich nicht weiter! Tu uns beiden das nicht an. Es stimmt nicht, was du sagst. Ich bin gekommen, weil ich Angst um dich hatte, aus keinem anderen Grund.«
»Du wolltest den Tod deines Freundes ausnutzen, um dir endlich zu nehmen, worauf du schon lange aus warst«, fuhr sie unbeirrt fort, »und ich muss sagen, eine schäbigere Gesinnung habe ich selten erlebt.«
Ihm wurde schwindlig. Er sah in ein Gesicht voller Hass und Verachtung und dachte: Nein! Nein, wie kann sie so reden, wie kann sie …
Seit deiner Scheidung warst du hinter mir her …
Sie drückte es auf eine gewöhnliche, zynische Weise aus, und damit wurde sie der Situation nicht gerecht, aber im Kern hatte sie Recht. Er hatte sie verehrt und bewundert vom ersten Moment ihres Kennenlernens an, und möglicherweise hatte er das nach seiner Scheidung, als er anfing, viele Abende bei ihr und Felix zu verbringen, nur noch schwer verbergen können.
Nach dem ersten Gefühl der Betroffenheit stieg nun Ärger in ihm auf über ihre Ungerechtigkeit und über die Härte, mit der sie ihm ihre Unterstellung ins Gesicht geschleudert hatte.
»Du bist unglücklich und verbittert«, sagte er, »und deshalb stößt du Menschen vor den Kopf, die es gut mit dir meinen. Ich habe dich immer bewundert. Vielleicht habe ich dich mehr bewundert, mehr verehrt, als es mir einer verheirateten Frau gegenüber zugestanden hätte, das mag sein,
aber ich habe nie mit Gefühlen an dich gedacht, die ich nicht jederzeit Felix gegenüber hätte offenlegen können. Ich fand es so großartig, was du aus deinem Leben machtest. Felix hatte so viel Geld, du hättest dich mit
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