Der Fremde (German Edition)
wäre lächerlich. Er hat mir herzlich zugewinkt und ist gegangen. Wir haben noch ein paar Minuten gewartet.
Mein Anwalt, in Robe, ist, von vielen anderen Kollegen umringt, eingetroffen. Er ist zu den Journalisten gegangen, hat Hände geschüttelt. Sie haben gescherzt, gelacht und wirkten ganz unbekümmert, bis zu dem Moment, als die Klingel im Gerichtssaal geläutet hat. Alle haben sich wieder zu ihrem Platz begeben. Mein Anwalt ist zu mir herübergekommen, hat mir die Hand gedrückt und mir geraten, auf die Fragen, die man mir stellen würde, kurz zu antworten, keine Initiativen zu ergreifen und mich bei allem Übrigen auf ihn zu verlassen.
Zu meiner Linken habe ich das Scharren eines Stuhls gehört, der zurückgeschoben wurde, und habe einen großen, schlanken, rotgekleideten Mann mit einem Kneifer gesehen, der beim Hinsetzen seine Robe sorgfältig glatt strich. Das war der Staatsanwalt. Ein Gerichtsdiener hat das Gericht angekündigt. Im gleichen Moment haben zwei große Ventilatoren angefangen zu brummen. Drei Richter, zwei in Schwarz, der dritte in Rot, sind mit Akten hereingekommen und sehr schnell auf das Podium gegangen, das den Saal beherrschte. Der Mann in der roten Robe hat sich auf den mittleren Armstuhl gesetzt, hat sein Barett vor sich hingelegt, seinen kleinen kahlen Schädel mit einem Taschentuch abgewischt und erklärt, die Sitzung wäre eröffnet.
Die Journalisten hielten schon ihren Stift in der Hand. Sie machten alle dasselbe gleichgültige und ein wenig spöttische Gesicht. Einer von ihnen allerdings, sehr viel jünger, in grauem Flanell mit blauem Schlips, hatte seinen Stift vor sich liegen lassen und sah mich an. In seinem etwas unregelmäßigen Gesicht sah ich nur seine sehr hellen Augen, die mich aufmerksam musterten, ohne etwas Bestimmbares auszudrücken. Und ich hatte das sonderbare Gefühl, von mir selbst angesehen zu werden. Vielleicht deswegen und auch, weil ich die dortigen Gepflogenheiten nicht kannte, habe ich alles, was danach geschehen ist, nicht so recht verstanden: die Auslosung der Geschworenen, die Fragen, die vom Vorsitzenden an den Verteidiger, an den Staatsanwalt und an die Geschworenenbank gestellt wurden (bei jeder wandten sich die Köpfe aller Geschworenen gleichzeitig dem Gericht zu), ein schnelles Verlesen der Anklageschrift, in der ich Namen von Orten und Personen erkannte, und neue Fragen an meinen Verteidiger.
Aber der Vorsitzende hat gesagt, man müsste jetzt die Zeugen aufrufen. Der Gerichtsdiener hat Namen vorgelesen, die meine Aufmerksamkeit erregt haben. Mitten aus diesem eben noch formlosen Publikum habe ich nacheinander den Leiter und den Pförtner des Altersheims, den alten Thomas Pérez, Raymond, Masson, Salamano, Marie aufstehen und dann durch eine Seitentür verschwinden sehen. Marie hat mir ängstlich zugewinkt. Ich wunderte mich noch, dass ich sie nicht früher bemerkt hatte, als beim Aufrufen seines Namens der Letzte, Céleste, aufgestanden ist. Ich habe neben ihm die kleine Frau aus dem Restaurant wiedererkannt mit ihrer Jacke und ihrem bestimmten, entschlossenen Gesicht. Sie sah mich eindringlich an. Aber ich hatte keine Zeit nachzudenken, weil der Vorsitzende das Wort ergriffen hat. Er hat gesagt, die eigentliche Verhandlung würde gleich beginnen, und er hielte es für unnötig, das Publikum zur Ruhe zu ermahnen. Ihm zufolge war er da, um die Verhandlung einer Strafsache, die er objektiv erwägen wollte, unparteiisch zu leiten. Das von den Geschworenen gefällte Urteil würde im Geiste der Gerechtigkeit getroffen, und er würde den Saal auf jeden Fall bei der geringsten Störung räumen lassen.
Die Hitze nahm zu, und ich sah die Zuhörer im Saal sich mit Zeitungen Luft zufächeln. Das erzeugte ein ununterbrochenes leises Papierrascheln. Der Vorsitzende hat ein Zeichen gegeben, und der Gerichtsdiener hat drei Fächer aus geflochtenem Stroh gebracht, die die drei Richter gleich benutzt haben.
Mein Verhör hat sofort begonnen. Der Vorsitzende hat mich ruhig und, so schien es mir, sogar mit einer Spur Herzlichkeit befragt. Man hat mich noch einmal meine Personalien angeben lassen, und trotz meiner Gereiztheit habe ich gedacht, dass es eigentlich ganz normal war, weil es zu schlimm wäre, einen Mann anstelle eines anderen zu verurteilen. Dann hat der Vorsitzende noch einmal geschildert, was ich getan hatte, wobei er sich nach jedem dritten Satz an mich wandte und fragte: «Ist es so?» Jedes Mal habe ich geantwortet: «Ja, Herr Vorsitzender»,
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