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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel McCrery
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oder sonst irgendetwas Abstoßendes an sich hatte, das ihn von ihr fern hielt. Aber sie fand nichts. Ihr Körper war lang und schlank. Ihr Brüste waren fest und wohlgeformt und ihre Beine die längsten im ganzen College. Warum kam er dann nicht zu ihr, und sei es nur für ein paar Minuten? Sie versuchte ihn wieder zu sich zu locken. Sanft strich sie sich mit den Händen über den Körper, während sie ihn rief: »Peter, warum kommst du denn nicht herüber? Bitte, nur für ein paar Minuten. Ich lechze nach dir, hörst du?« Doch er ließ sich nicht stören. Sorgfältig studierte er zwei Fotos, die Sam ihm geschickt hatte, und rief sich sein Erlebnis in der Leichenhalle in Erinnerung. »Jetzt nicht, Fiona, ich arbeite.«
    Sie räkelte sich auf dem Bett und streckte ihren Körper. »Das hält dich sonst nicht ab.«
    Da war etwas Wahres dran, doch irgendwie erschien ihm die Arbeit, die er im Moment tat, wichtiger als Sex. So hatte er noch nie empfunden. Normalerweise war er süchtig nach Sex, auf jeden Fall nach Sex mit Fiona. Sie hatte nicht nur so ziemlich den schönsten Körper, den er je gesehen hatte, sondern war auch im Bett eine wahre Wucht der Leidenschaft, die sie ungehemmt hinausschrie.
    »Ich hatte ja auch noch nie einen so wichtigen Job wie diesen.«
    So leicht gab sich Fiona jedoch nicht geschlagen. »Komm schon, nur fünf Minuten. Bin ich dir denn nicht wichtiger als irgendein totes Mädchen?«
    Hudd bestrich den Kopf mit Ton, ohne sich nach ihr umzudrehen. Er wollte nicht riskieren, dass seine Willenskraft geschwächt wurde. »Fiona, bei uns sind es nie nur fünf Minuten. Eher fünf Stunden.«
    »Vielleicht kann ich dich ja inspirieren?«
    »Das hat Dr. Ryan bereits getan, vielen Dank.«
    Endlich ließ sie es sein und setzte sich auf. »Dann ziehst du mir also eine ältere Frau vor?«
    Hudd schüttelte den Kopf. »Nein, obwohl ich sagen muss, dass sie sehr attraktiv ist, findest du nicht?«
    Fiona begann sich anzuziehen. »Ist mir nicht aufgefallen«, sagte sie schnippisch.
    »Sicher trainiert sie. Ich meine, du kannst nicht so einen Körper haben, wenn du nichts dafür tust, oder?«
    Fiona war fertig angezogen und ging zur Tür. »Dann mache ich mich mal auf die Suche nach jemandem, der meine Talente zu schätzen weiß.«
    Endlich blickte Hudd auf. »Wie wär’s, du kommst in einer Stunde wieder, wenn ich hier einen Schritt weiter bin? Halt dich bis dahin auf Temperatur. Na?«
    Sie blieb schmollend an der Tür stehen. »Wenn du willst, bleibe ich über Nacht.«
    Er nickte. »Okay, aber um zwölf wird das Licht ausgemacht. Ich muss diese Sache wirklich zu Ende bringen.«
    Das erschien ihr ein bisschen früh, aber sie war sicher, dass sie den Zapfenstreich hinauszögern konnte, wenn sie ihn erst einmal in den Fingern hatte. »Okay, abgemacht«, sagte sie. »Aber dann musst du dein Bestes geben, sonst nehme ich eins von deinen Messern, aber nicht, um Ton zu modellieren.«
    Sie vollführte eine unmissverständliche Stichbewegung mit der Hand, doch zum Glück hatte sich Hudd inzwischen wieder seiner Arbeit zugewandt.
    Nachdem Fionas nackter, wollüstiger Körper ihn nicht mehr ablenken konnte, begann Hudd sich tiefer zu konzentrieren. Etwas Derartiges hatte er noch nie gemacht und es faszinierte ihn bis zur Besessenheit. Bereits als er die Züge des Mädchens in der Leichenhalle abgetastet hatte, hatte er erkannt, dass sie schön gewesen war. Nur wusste er noch nicht, wie schön, und nun setzte er alles daran, diese Schönheit durch seine Arbeit wiedererstehen zu lassen. Schon jetzt, in diesem Anfangsstadium, schien etwas nicht ganz zu stimmen. Er hatte schon Hunderte von Köpfen modelliert, aber das hatte er nur um seiner Kunst willen getan und um irgendwann so berühmt zu werden, dass er Zutritt zu der Welt erhielt, die er liebte. Aber das hier war etwas anderes. Dieses Werk musste gelingen. Durch seine Hände musste dieses Mädchen wieder zum Leben erwachen. Er musste sie zurückholen und mit eigenen Augen sehen, wie sie ausgesehen hatte.
    Er hielt inne und trat zurück, um sein bisheriges Werk zu begutachten. Im Vergleich zu den Fotos, die er vor sich hatte, sah es gut aus. Er schloss die Augen und berührte die Umrisse des Kopfes mit den Fingerspitzen, ließ sie behutsam über jede Kante, jede Linie, jeder Erhebung wandern. Es fühlte sich anders an; es war nicht dasselbe. Er musste noch mehr aus dieser Skulptur herausholen. Ihr innerstes Wesen, ihre Seele musste in diesem Porträt eingefangen werden.

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