Der Fremde ohne Gesicht
vorgenommen hatte. »Damit hat das überhaupt nichts zu tun, Sam. Ich bin nur hier, weil ich dir helfen will.«
»Von wegen. Du bist hier, um dich abzusichern, weil du Angst hast, ich finde etwas heraus, was dir einen Kratzer in deinen hochglänzenden Ruf macht und deine Chancen für diese ach so wichtige Beförderung verringert.«
Tom hatte genug. Er stand auf. »Das ist nicht wahr und es ist verdammt unfair.«
Sam starrte ihn voller Feindseligkeit an. »Unfair? Du hast die Nerven, hier aufzutauchen und mir vorzuwerfen, ich würde Beruf und Karriere über alles andere stellen. Was bildest du dir eigentlich ein? Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Falls es mir gelingen sollte, schlüssig nachzuweisen, dass das arme Mädchen, das unter der Brücke gefunden wurde, einem Mord zum Opfer gefallen ist, wirst du es als Letzter erfahren. Das verspreche ich dir.«
»Das Zurückhalten von Informationen ist ein strafrechtliches Vergehen, Sam.«
Sie fuhr von ihrem Stuhl hoch. »Untersteh dich, mir zu drohen, du Mistkerl. Ich werde gar nichts zurückhalten, sondern ich werde zuerst den Chief Constable informieren und gleichzeitig eine Beschwerde einreichen.«
»Und weswegen?« Tom hatte jetzt völlig die Beherrschung verloren.
»Wegen Pflichtvernachlässigung. Das dürfte dein Image etwas trüben, meinst du nicht?«
Er starrte sie wütend an, ohne zu antworten. Schließlich machte er mit hochrotem Gesicht auf dem Absatz kehrt und stürmte zum Ausgang. Sam rief ihm nach: »Übrigens, wie geht es Rebecca?«
Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Sie ist schwanger.«
Die Härte in seiner Stimme zeigte ihr, dass er sie mit der Bemerkung verletzen wollte, und das gelang ihm auch. Um sie noch härter zu treffen, hätte er ihr schon ins Gesicht schlagen müssen, aber sie war entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. Tom wartete einen Moment auf ein Anzeichen, dass er sie getroffen und in diesem Konflikt den Sieg davongetragen hatte. Doch Sam stand ohne jede Regung da und ließ ihn im Zweifel über seinen Erfolg. Schließlich wurde er das Spiel leid und stampfte hinaus, vorbei an der verblüfften Jean, die gerade mit zwei Bechern Kaffee in der Hand die Tür öffnete. Sie sah hinüber zu Sam, die immer noch mit trotzig verschränkten Armen dastand.
»Also doch nur ein Kaffee?«
Sam nickte. Sie hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten.
Bill und Betty Waddam wohnten in einer kleinen, aber hübsch zurechtgemachten Doppelhaushälfte auf dem Darwin Estate. Es war gut in Schuss, mit doppeltverglasten Fenstern, einem frisch gestrichenen Zaun und einem gepflegten Vorgarten. In der verwahrlosten Straße, in der die meisten Gärten zugewachsen waren oder als Abstellplatz für rostige Autowracks dienten, stach es hervor wie ein glänzender Edelstein. Sharman war nicht überrascht, vor dem Haus ein Schild zu sehen, das verkündete, es sei zu verkaufen. Wenn er in dieser Gegend wohnen würde, würde er auch zusehen, dass er von hier wegkäme.
Als er aus seinem Wagen stieg, musterte er die kleine Schar Kinder, die auf der anderen Straßenseite auf einer niedrigen Mauer saß. Er winkte den Bandenführer zu sich. Der Junge schlenderte widerwillig über die Straße und starrte zu Sharman hinauf. So groß der Mann im Vergleich zu ihm auch war, sein Gesicht ließ keinerlei Respekt oder Furcht erkennen.
»Bist du der Anführer?«
»Wer will das wissen?«
»Ich gebe dir ein Pfund, wenn du auf meinen Wagen aufpasst, während ich drinnen bin.«
Der Junge sah ihn an und dachte über das Angebot nach. Dann warf er einen Blick hinüber zu seinen Freunden, »’nen Fünfer.«
Sharman schüttelte den Kopf. »Zu teuer.«
Der Junge zuckte die Achseln. »Dann kann ich nicht garantieren, dass Ihre Reifen noch da sind, wenn Sie wiederkommen.«
»Zwei fünfzig?«
Der Junge überlegte wieder. »Drei …«
Sharman fiel ihm rasch ins Wort. »Abgemacht.«
Doch der Junge war noch nicht fertig. »… fünfzig.«
Sharman griff in die Tasche und gab ihm das Geld.
»Wenn ich zurückkomme und es ist auch nur ein Kratzer im Lack, mache ich dir die Hölle heiß, verstanden?«
Der Junge nickte und ging zurück zu seinen Freunden, um seine Beute zu verteilen. Sharman sah ihm kopfschüttelnd nach. Nachdem er seinen Wagen abgeschlossen hatte, öffnete er das Gartentor des Hauses Nr. 47, ging zur Tür und klingelte. Bill Waddam öffnete. »Was immer Sie verkaufen, wir brauchen es nicht.« Sharman zog seinen Dienstausweis hervor
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