Der Fremde ohne Gesicht
machte ein wütendes Gesicht. »Ach ja? Und da haben Sie zwei und zwei zusammengezählt und sind auf sechs gekommen.«
Sam lehnte sich zurück. Sie war sich ihrer Sache sicher.
»Und dabei hat Stan Sie mir als intelligente Frau beschrieben. Zu Ihrer Information, der Mann war ein Freund von Stan. Er sagte, er hätte bereits mit Ihnen gesprochen. Er hat mir Geld von Stan gegeben, für Ihre Auslagen.«
Kate stand abrupt auf und musterte Sam verächtlich. »Nächstes Mal informieren Sie sich richtig, bevor Sie mit dem Finger auf andere Leute zeigen. Und ich dachte, Sie wären eine Freundin. Wie man sich doch irren kann.« Sie warf das Geld auf den Tisch und stürmte aus dem Frühstücksraum.
Zu Sams Erleichterung wartete Kate mit Hudd beim Wagen, als sie aus dem Hotel kam. Die kurze Fahrt vom Marktplatz zur Polizeistation verlief schweigend. Hudd machte mehrere Anläufe zu einem Gespräch, die jedoch wie an einer Mauer abprallten. Sam hätte sich gern entschuldigt, aber in Gegenwart von Hudd wollte sie das auf keinen Fall tun. Sie hatte sich geirrt und vorschnelle Schlüsse gezogen. Ausgerechnet sie hätte wissen müssen, dass der Anschein oft trog; das war eine der Grundweisheiten ihres Berufs. Dennoch hatte sie Kate übereilt in eine Schublade gesteckt und sie fühlte sich schrecklich mies deswegen. Nachdem sie den Wagen auf dem Parkplatz hinter der Polizeistation abgestellt hatten, führte ein junger, nervös dreinblickender Constable sie hinauf zu Bill Flemmings Büro.
Als sie eintrat, stand er auf und streckte ihr seine Hand entgegen. »Dr. Ryan, vermute ich?«
Sam fand die Begrüßung amüsant und schüttelte ihm fest die Hand, bevor sie sich umdrehte, um ihre beiden Begleiter vorzustellen. Er sah zwar ein wenig verwirrt aus, schüttelte aber beiden die Hände und behandelte sie freundlich, ohne die peinlichen Fragen zu stellen, die sie befürchtet hatte. Nachdem sie sich gesetzt hatten, kam Flemming direkt zur Sache. »Stan Sharman hat mir gesagt, dass Sie nach Spade suchen?«
»Das ist richtig.«
»Sie wissen, dass er wegen Mordes gesucht wird, nicht wahr?«
Sam nickte. »Ja, das haben wir gehört.«
»Und dass er sehr gefährlich ist?«
»Davon sind wir ausgegangen, angesichts der Verbrechen, wegen derer er gesucht wird.«
Flemming sah Sam einen Moment lang stumm an, als versuchte er ihre Gedanken zu lesen. »Und wie kann ich Ihnen helfen? Wenn Sie wissen wollen, wo Spade ist – ich habe kein Ahnung. Wenn ich es wüsste, würde ich jetzt nicht hier sitzen.«
»Das ist uns klar. Wir wollten nur wissen, ob Sie vielleicht irgendwelche Hintergrundinformationen über ihn haben.«
Flemming seufzte. »Nur sehr wenige. Sein richtiger Name ist Alex Johnson. Er ist sein ganzes Leben lang auf der schiefen Bahn gewesen. Erziehungsheim, Jugendstrafanstalt, dann Gefängnis. Er ist schon so ziemlich wegen jedes Delikts im Gesetzbuch verurteilt worden. Sonst ist nichts bekannt. Er ist ein Nichtsesshafter und darum schwer ausfindig zu machen.«
»Hatte er denn je Reisegefährten?«
Hudd beugte sich vor, als er die Frage hörte.
»Wenn er erwischt wurde, war er immer allein. Soviel wir wissen, hat er keinen Partner.«
Sam spürte, wie die Frustration in ihr aufstieg. »Gibt es denn keinerlei Erkenntnisse, die uns einen Hinweis auf Leute geben könnten, mit denen er zu tun hat?«
Flemming schüttelte wieder den Kopf. »Außer dem, was ich Ihnen bereits gesagt habe, so gut wie nichts. Wie gesagt, er ist nicht sesshaft und ein Einzelgänger.«
Sam wusste nicht recht, was sie noch fragen sollte. Flemming wusste entweder nicht viel über Spade oder er war nicht bereit, das, was er wusste, drei Leuten anzuvertrauen, die einen Mordverdächtigen repräsentierten, ob er nun ein Freund war oder nicht.
Flemming unterbrach ihre Gedanken mit einer eigenen Frage. »Tut mir Leid, Sie das fragen zu müssen, aber die Nachricht, die ich von Stan erhalten habe, hat mir den Eindruck vermittelt, dass Sie bereits wissen, wo Spade ist.«
Sam wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Wenn sie Spades Aufenthaltsort verrieten, würden sie sich vielleicht nie in Ruhe mit ihm unterhalten können. Andererseits war das Zurückhalten von strafrechtlich relevanten Informationen ein Vergehen und konnte ihr noch mehr Ärger einbringen, als sie ohnehin schon hatte. Flemming schien ihr Dilemma zu spüren und schlug ihr eine Lösung vor.
»Warum machen wir es nicht so: Sie suchen Spade auf, wo immer er ist, und beschaffen sich die
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