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Der fremde Tibeter

Titel: Der fremde Tibeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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immer vom Schmerz benebelt war. »Ich habe nur drei Stunden geschlafen.«
    »Aufhetzung der Separatisten. Verabredung zur Störung der öffentlichen Sicherheit. Hinterhältiger Angriff auf einen Soldaten.«
    Shan bemerkte ein leises schnarrendes Geräusch. Hinter Tans Auto erkannte er einen vertrauten grauen Geländewagen. Die Klappe zum Laderaum stand offen, und die beiden gestiefelten Füße einer schlafenden Gestalt waren zu sehen.
    »Ist es das, was Sergeant Feng Ihnen erzählt hat?« Shans Kiefer fühlte sich taub an. »Daß er aus dem Hinterhalt angegriffen wurde?« Er berührte seine Lippe. Als er die Finger wieder wegnahm, waren sie blutverschmiert.
    »Er hatte den Befehl, mich letzte Nacht anzurufen, sobald er zurückkehrte. Er hat mich geweckt. Völlig außer sich. Hat um Verstärkung gebeten. Sagte, man solle dich der Öffentlichen Sicherheit übergeben.« Tan schaute nach Norden. Eine Lastwagenkolonne näherte sich.
    »Vielleicht hat er vergessen, Ihnen zu erzählen, wie er einen der Reifen zerschossen hat«, sagte Shan. »Oder wie er auf das Dach des Wagens geklettert ist und nicht wieder heruntersteigen wollte. Oder daß ich zurückfahren mußte, weil er zu hysterisch dafür war.«
    Die Kolonne fuhr an ihnen vorbei. Shan erkannte sie sofort, obwohl es doppelt so viele Laster wie sonst waren. Die zusätzlichen Transporter waren voller Kriecher. Verzweifelt blickte Shan den Wagen hinterher. Sie würden zur Südklaue fahren. Die Kriecher würden ihre Maschinengewehre aufstellen. Die Gefangenen würden auf den Hang steigen, sich hinsetzen, ihre primitiven Rosenkränze durch die Finger gleiten lassen und warten.
    Als der Staub der Kolonne sich legte, sah Shan, daß zwei der Wagen angehalten hatten. Ein Dutzend unerbittlich wirkender Soldaten sprang von einem der Laster und stellte sich in zwei Reihen hinter dem anderen Transporter auf. Ein tibetischer Häftling wurde aus dem Halbdunkel gestoßen und landete zwischen den Reihen. Er stöhnte vor Schmerz. Die anderen stiegen langsam aus. Shan bemerkte, daß Tan nicht etwa die Sträflinge, sondern ihn anschaute.
    Die Gefangenen, insgesamt fünfzehn an der Zahl, mußten sechs oder sieben Meter weit ins Heidekraut stapfen und sich dort in einer Reihe aufstellen. Zwei Offiziere der Kriecher tauchten mit Maschinenpistolen hinter dem Wagen auf und bezogen vor den Mönchen auf der Straße Position.
    »Nein!« klagte Shan. »Sie können doch nicht...«
    »Ich bin dazu befugt«, unterbrach Tan ihn mit eisiger Stimme. »Der Streik ist ein Akt des Verrats.«
    Shan torkelte vor. Das war lediglich einer seiner Alpträume, sagte er zu sich selbst. Jeden Moment würde er in seinem Bett aufwachen. Er stolperte und fiel hin. Ein Stück Schotter bohrte sich schmerzhaft in sein Knie. Er war wach. »Die Männer haben nichts getan«, stöhnte er.
    »Sie werden mit Ihrem Versteckspiel aufhören. In einer Woche wird auf meinem Tisch ein Ermittlungsbericht zur Anklageerhebung gegen den Mörder Sungpo liegen.«
    Die Häftlinge begannen ein Mantra. Ihre Augen schauten über die Köpfe der Scharfrichter hinweg auf die Berge.
    Tan wandte den Blick noch immer nicht von Shan ab.
    Shan hatte das Gefühl, er könnte seine Zunge nicht bewegen. Er kämpfte gegen eine aufsteigende Übelkeit an. »Ich werde Ihnen nicht dabei helfen, einen Unschuldigen zu töten«, würgte er mit heiserer Stimme hervor. Er schüttelte heftig den Kopf, um die Schmerzen loszuwerden, und sah mit neuer Stärke zu Tan auf. »Falls es das ist, was Sie wollen, bitte ich darum, mich diesen Gefangenen anschließen zu dürfen.«
    Tan reagierte nicht.
    Die Offiziere luden ihre Waffen durch. Shan sprang vor. Jemand packte ihn von hinten und hielt ihn fest. Im selben Moment eröffneten die Schützen das Feuer. Das Dröhnen der Waffen hallte im Tal wider.
    Als der Pulverdampf sich lichtete, lagen drei der Sträflinge schluchzend auf den Knien. Die anderen starrten unverwandt in die Ferne und sagten ihr Mantra auf.
    Die Kriecher hatten Platzpatronen benutzt.
    »Du hast an der Südklaue einen Sicherheitsverstoß begangen!« herrschte Tan ihn an. »Wer hat dich dazu ermächtigt, ein Sperrgebiet zu betreten?«
    Jetzt erwiderte Shan den Blick des Oberst. »Ihr Ermittler hat keinen Zutritt zum Tatort mehr?«
    »Du hast gesagt, du würdest zu Sungpos Kloster fahren.« Tans Augen verengten sich. »Ein Bericht zur Anklageerhebung gegen den Beschuldigten. Hast du mich verstanden?«
    »Grausamkeit kann niemals verstanden, sondern nur

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