Der fremde Zwang
Zeit. Warum also sollten wir nicht die Zeit betrügen? Miß Holder, wenn wir auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen, eine Strecke fliegen und zurückkehren, sind Tausende von Jahren vergangen, während wir nur Stunden älter wurden. So sollte es gelingen, die weitere Entwicklung zu beobachten.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Das ist zwar wissenschaftlich korrekt, aber viel zu umständlich. Mit meinem Kompensator ist es ohne weiteres möglich, die während des Fluges nach hier gewissermaßen ‚aufgespeicherten’ Zeiteinheiten Freiwerden zu lassen. Wir würden mit einer Sekunde genau 150 Millionen Jahre überspringen. Gewiß, das wird nicht reichen, aber ich bin ziemlich sicher, daß es mir gelingen wird, einen weiteren Zeitablauf innerhalb des Schiffes zu bewerkstelligen, der später allerdings wieder rückgängig gemacht werden müßte.“
„Mit Ihren verhältnismäßig kleinen Geräten?“ zweifelte Brenner. „Wie ist das möglich?“
Ann wandte sich ihm zu, mit einem strafenden Blick, wie es den Anschein hatte.
„Bezweifelte ich jemals Ihre Fähigkeit, mit dem ungefügen Metallblock die Lichtgeschwindigkeit erreichen zu können? Na also, Mr. Brenner! Das Problem der Zeit ist unfaßbar einfach, daher erscheint es so kompliziert und geradezu unlösbar. Ich werde mich hüten, auch nur einem Menschen jemals das Geheimnis zu verraten, auf das ich gekommen bin, als ich mich einmal intensiver mit der paradoxen Lebensdauer der Mesonen befaßte.“
Brenner wehrte erschrocken ab.
„Ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten, Miß Holder. Verzeihen Sie mir. Aber es erscheint mir unverständlich, wie Sie mit einigen Geräten eine regelrechte Zeitreise zu unternehmen gedenken.“
Jetzt lächelte Ann wieder und warf Glenn einen schnellen Blick des Einverständnisses zu.
„Zeitreise? Wahrhaftig, es ist eine Zeitreise. Aber ich muß Sie enttäuschen, wenn Sie annehmen, wir hätten eine solche Zeitreise auch gleich auf der Erde durchführen können. In dem jetzt vorliegenden Sinne ist sie dort unmöglich. Sie ist nur möglich in einer Welt wie dieser, in einer Scheinwelt. Die zu dem dort im Raum sich zusammensetzenden Bild benötigten Lichtstrahlen, die Reflektionen von der anderen Seite des Universums, sind nicht nur Lichtstrahlen, sondern auch Träger der Zeit. Zeit, lieber Doktor Brenner, ist nichts anderes als eine Erscheinungsart der Materie, und somit auch der Energie. Verstehen Sie das?“
Der Physiker schüttelte verblüfft den Kopf. Ann grinste.
„Das ist gut so, Doktorchen. Wir benötigen Ihren Verstand auch noch für andere Dinge. Es genügt, wenn ich mich damit befasse. Also folgendes: Aus dem eben erwähnten Grunde kann ich hier mit der Zeit manipulieren, wie ich will. Bevor wir jedoch diesen Teil des Universums wieder verlassen, müssen wir in unsere Gegenwart zurückkehren – und noch dreihundert Millionen Jahre weiter. Denn der Hinflug zur Erde dauert nochmals 150 Millionen Jahre – ungefähr wenigstens, und relativ natürlich. Zweimal 150 Millionen ergibt 300 Millionen. Und so wird es geschehen, daß wir etwa zur gleichen Zeit auf der Erde landen, da wir von dort starteten. Ich glaube, das ist ziemlich deutlich und verständlich ausgedrückt, wenn es auch nur eine Andeutung sein kann.“
Glenn warf Brenner einen triumphierenden Blick zu, als sei er es gewesen, der die Welt erschaffen habe. Er hatte allen Grund, auf seine junge und schöne Braut stolz zu sein. Brenner grunzte etwas Ähnliches wie „hätte ich gewollt, wäre sie heute meine“ und betrachtete dann angelegentlich die wirbelnde Gasmasse.
Gordon schwieg ebenfalls, aber deutlich stand in seinem Gesicht die Hochachtung vor Ann Holder zu lesen. Henderson nickte lediglich und sagte:
„Damit also wissen wir nun, was geschehen wird – und wir wissen auch in etwa, wie es geschehen wird. Die Erklärungen Miß Holders sollten uns genügen. Wir stehen keinem Wunder, sondern exakter Wissenschaft gegenüber, wenn sie uns auch unfaßbar, den übrigen Menschen aber wahrscheinlich vollkommen abwegig und als Phantasieprodukt erscheinen mag. Miß Holder, Sie kennen Ihre Aufgabe. Beginnen Sie.“
Ann nickte und machte sich daran, die Verkleidung abzuschrauben, die ihren Zeitkompensator verdeckte. Während die Männer ihr neugierig und auch skeptisch zuschauten, hantierte sie geschickt mit den Kontrollen, verstellte Skaleneinstellungen und legte winzige Hebel um. Dann drehte sie an einigen Knöpfen und richtete sich schließlich auf, dabei Anstalten
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