Der Friedhofswächter
getötet werden?«
›Später auch. Aber es geht um eine alte Rache und in erster Linie um mich. Fenris hat mich nicht vergessen. Er lauert im Hintergrund und hat sich eines alten Dieners erinnert. Auf dem Friedhof hier lag er lange Zeit begraben. Es war der Friedhofswächter, und er hieß Dorian Asher. Die Menschen damals ahnten nicht, daß sie einen Werwolf lebendig begruben. So haben sie, ohne es zu wissen, die Saat des Bösen gelegt, die jetzt, viele Jahre später, ihre Früchte tragen wird.‹
»Und du bist der Mittelpunkt?«
›Nicht nur ich. Auch der Junge. Ihn hat man in das Spiel mit hineingezogen. Ich war es, die zu ihm sprach und ihm von dem Grab erzählte.‹
»Weshalb hast du das getan?«
›Weil sich Fenris bei mir meldete. Er nahm plötzlich Kontakt zu mir auf und erinnerte mich daran, daß ich auf der falschen Seite stünde. Zuerst wollte er noch Lupina mit ins Spiel bringen, aber Asher reichte ihm. Die Zeit der Rache war gekommen. Asher konnte sein Grab verlassen, und mich teilte er. Er schaffte es, meine Seele aus dem Körper zu holen. Es war eine schreckliche Qual, doch nur so konnte die Wölfin direkt unter seine Kontrolle gelangen und sich auch dem zuwenden, den sie einst immer beschützt hatte.‹
»Johnny?«
›Ja, mein Freund, es ist Johnny. Er ist gelockt worden. Asher hat ihn verschleppt und schließlich zum Friedhof gebracht, wo sein Grab liegt. Dort wartete die Wölfin auf ihn. Und sie ist keine Mischung zwischen Mensch und Tier mehr. Sie hat keine menschlichen Augen, sie ist nur mehr ein Tier.‹
In mir stieg allmählich die Verzweiflung hoch. »Weshalb will sie Johnny töten? Dieser Junge hat niemandem etwas getan. Er ist harmlos. Ich sehe da keinen Sinn.«
›Doch, es hat einen Sinn. Durch ihn oder mit ihm als Druckmittel kommt er an mich heran. Unsere Begegnung, John, wird so etwas wie ein Abschied. Es hat keinen neuen Anfang für mich gegeben. Ich bin in den schrecklichen Kreis der Wolfsmagie hineingeraten. Du kannst nur noch eines tun. Meinen Körper töten…‹
»Aber was ist mit deinem Geist? Du stehst vor mir? Soll der auch getötet werden?«
›Ja, er wird vielleicht vernichtet, denn ich weiß nicht, was Fenris mit mir vorhat. Er will mich bekommen, und das hat er wahrscheinlich auch geschafft. Wenn ich seinen Befehlen und Anordnungen nicht folge, wird Johnny es büßen müssen. Dann wird man ihn töten. Um den Jungen aber zu retten, werde ich meine Gestalt aufgeben, mein Zwitter-Dasein soll und kann nicht länger dauern. Ich hoffe, daß ich ihn retten kann, denn der Wolfskörper allein ist unberechenbar…‹ Sie hob den Arm. Es war wie ein Abschied, ein letztes Winken, dabei verzog sich das geisterhafte Gesicht, und ich glaubte, ein schmerzliches Lächeln darin lesen zu können.
Dann entschwand sie.
Ich hörte kein Geräusch, nichts. Kein Brausen, kein Luftzug streifte mich, Nadines Geist wurde eins mit der Natur und mit den Dingen, die uns Menschen unsichtbar umgeben.
Sprechen oder reagieren konnte ich nicht mehr. Ich stand da und starrte ins Leere. Noch einmal ließ ich mir ihre Worte durch den Kopf gehen. Sie hatte von einer Opferung gesprochen, um Johnny zu retten. Vielleicht zu retten…
Was konnten wir tun?
Ich mir schoß eine heiße Welle hoch. Für einen Moment faßte mich der Schwindel, aber ein nahezu brutal klingendes Geräusch riß mich wieder zurück in die Wirklichkeit.
Bill hatte den Volvo gestartet. Was in ihn gefahren war, wußte ich auch nicht. Wahrscheinlich trieb ihn die Sorge um seinen Sohn zu einer dermaßen überspitzten Reaktion.
Jedenfalls startete er so hart, daß die Reifen durchdrehten und Grasboden in die Höhe schleuderten.
Ich rief noch seinen Namen, doch mein Ruf ging unter im Motorgeräusch. Erst als sie an mir vorbeigefahren waren, schaltete er die Scheinwerfer an, so daß sich ein bleicher Lichtteppich vor die Stoßstange legte.
***
Sheila hatte gedrängt.
Immer wieder sprach sie auf ihren Mann ein, der erst nicht wollte und seinen Freund John beobachtete.
Der sprach mit dem Geist. Manchmal hörten Bill und Sheila Wortfetzen. Oft genug fiel auch der Name ihres gemeinsamen Sohnes. Dann zuckten beide zusammen.
»Wir müssen etwas tun, Bill!«
»Warte auf John!«
»Nein, es dauert mir zu lange. Er ist mir zu weich. Ich bin Johnnys Mutter, du bist sein Vater. Wir beide, die Eltern, müssen um das Kind kämpfen. John ist der Onkel. Er kann nicht die Beziehungen zu Johnny haben, wie wir sie besitzen. Begreifst du
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