Der frühe Vogel kann mich mal: Ein Lob der Langschläfer (German Edition)
Normalverteilung.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Till Roenneberg in seinen Untersuchungen. »Je stärker der soziale Jetlag, desto mehr greifen Individuen nach Stimulanzien. Desto häufiger sind sie auch Raucher.« [29] Der Grund für den Griff zur Zigarette oder zur Flasche mag nicht nur in dem Versuch liegen, der Müdigkeit durch die Aufnahme von Wachmachern entgegenzuwirken, sondern hängt auch mit dem Auseinanderdriften von innerer Uhr und äußeren Bedingungen zusammen. »Nikotin-, aber auch Alkoholgenuss deuten oft auf Schwierigkeiten hin, mit sozialen Anforderungen fertig zu werden,« [30] resümiert Roenneberg. Besonders ins Gewicht fällt dieser fatale Mechanismus bei Jugendlichen. Da diese auf Grund ihres Entwicklungsstadiums zu einem Leben im sozialen Jetlag gezwungen sind, wird auch hier signifikant häufig versucht, diesem durch Genussgifte entgegenzuwirken. Mit oftmals unabwendbaren Folgen: Nicht nur, dass besonders in dieser Entwicklungsphase ein gesunder Lebenswandel den Grundstein für eine stabile Gesundheit legt, gerade im Jugendalter ist die Gefahr, eine Karriere als lebenslanger Raucher oder Trinker einzuschlagen, besonders hoch.
Dumme Eulen
Wer nicht glauben mag, dass ein Leben gegen die innere Uhr zu einem Leben in Dummheit verdammt, der muss nur einmal nach durchwachter Nacht versuchen, sich auf eine Arbeit zu konzentrieren, die er sonst mit links erledigt. Eine Routineaufgabe, etwa die Berechnung von Material für die Renovierung einer Wohnung, gerät vor dem inneren Auge zu einem fast unüberwindbaren mathematischen Problem. Ein einfacher juristischer Schriftsatz rückt mit einem Mal in die Nähe eines komplexen Vertragswerks, und Pressemeldungen im Umfang einer DIN-A4-Seite geben einem das Gefühl, dass man sich damit um den Literaturnobelpreis bewerben würde. Alles erscheint schwierig, aufreibend, anstrengend! Ein vorbeifahrendes Auto, das Fauchen der Kaffeemaschine, das Klingeln des Telefons im Nebenbüro – selbst das kleinste Geräusch raubt einem den letzten Nerv. Man kann sich nicht konzentrieren, macht Fehler und lässt sich von jeder noch so kleinen Sache ablenken, und wenn der verhasste, sich gerne mit fremden Federn schmückende Kollege auf Infobeutezug urplötzlich im Türrahmen des Büros steht, nimmt man eine Unterhaltung mit ihm sogar als willkommene Ablenkung. Oder man starrt Löcher in die Luft und gibt sich Tagträumen hin, aus denen man sich nur schwer wieder herausreißen kann. Kurzum: Man möchte zwar arbeiten, kann aber nicht, man lenkt sich ab und sollte nicht – ein Teufelskreis, der sich nur durch den ersehnten Schlaf durchbrechen lässt. Doch auf den muss man bis nach Feierabend warten bzw. bis nach Schulschluss oder Seminarende. Denn wie erwähnt, sind die meisten Schüler und Studenten biologisch bedingte Spättypen und in ein atypisches Leben gezwungen, das denen von Schichtarbeitern gleicht. Der frühe Unterrichtsbeginn entreißt ihnen die wertvollen letzten Stunden des Schlafes, die für die Auffrischung der Gedächtnisleistung zuständig sind. Was wiederum bedeutet, dass diejenigen, die biologisch als Langschläfer prädisponiert sind, in ihrer schulischen Performance beeinträchtigt werden: Ihre Müdigkeit verschlechtert ihre Gedächtnisleistung sowie ihre Konzentrations- und Leistungsfähigkeit. 50 Prozent der Schüler und Schülerinnen in den Abiturklassen, so eine Münchener Studie, schlafen in den Schulstunden bis zur ersten großen Pause (um ca. 9.35 Uhr) im Unterricht ein. Kritisch wird es, wenn in dieser Zeit Leistungsnachweise erbracht werden müssen. Die Klassenspiegel dieser Arbeiten liegen deutlich unter dem Schnitt aller geschriebenen Klassenarbeiten.
Eulen schneiden laut Till Roenneberg auffällig oft schlechter in der Schule ab als Jugendliche, die zum Frühaufsteher tendieren und die hormonell bedingte Verlagerung des Schlafbedürfnisses aufgrund ihrer chronobiologischen Disposition besser ausgleichen können – daraus ergeben sich die klassischen Streberkarrieren. Bei den Lehrern sind Lerchen beliebt und durch ihre Veranlagung im moralischen und kulturellen Vorteil. Die Eulen hingegen müssen in dieser Phase permanent Frust einstecken, der durchaus prägend für ihre Berufswahl und damit für das gesamte spätere Leben sein kann. Denn wer in Fächern die Leistung nicht bringen kann, die für einen bestimmten Numerus clausus erforderlich ist, kann gewisse Berufswege nicht einschlagen. Roenneberg plädiert deshalb, ebenso wie seine
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