Der frühe Vogel kann mich mal: Ein Lob der Langschläfer (German Edition)
imitiert. Als das Königspaar im August 1800 einen Ausflug zur Schneekoppe machte und es kühl wurde, lieh sich Luise von der ältesten Tochter des Grafen Schaffgotsch aus einer Laune heraus einen lila Schal mit silbernen Fransen, der weder zu ihrem ockerfarbenen Kleid passte, noch an die Qualität ihrer ausgesuchten Stoffe heranreichte, und trug ihn stolz wie einen purpurnen Königsumhang. Fortan zählte es zum letzten Schrei, einen lila Schal mit silbernen Fransen zu tragen, ebenso wie zuvor schon das Kopftuch, das Luise sich in ihrer Kronprinzessinnenzeit um den Hals gebunden hatte, um eine unschöne Schwellung zu verbergen – es wurde geradezu Kult. Der Bildhauer Johann Gottfried Schadow verewigte es sogar in seiner Marmorstatue von Luise und ihrer Schwester Friederike.
Diese Neigung zum Modischen, zum Schick und zur stilbildenden Inszenierung unterstrich Luises natürliche Schönheit, die sie mit allen Mitteln zu erhalten versuchte. Natürlich zählte für sie dazu, sich ordentlich auszuschlafen. Wie alle Damen ihres hohen Standes genoss Luise das Privileg, bis zum Mittagessen » en negligé « bleiben zu dürfen. Doch während viele wohl diese Zeit nutzten, um ihre Korrespondenz zu erledigen, Ordern an die Hofmeisterinnen zu geben oder die Bibel zu studieren, schlief sich die Preußenkönigin richtig aus – bis neun Uhr mindestens, zehn war aber auch keine Seltenheit. Dann ließ sie sich von ihrer Kammerdame das Frühstück (drei Tassen Schokolade, Zwieback und Erdbeeren) bringen und studierte erst einmal die Tageszeitungen, die um 1800 allerdings aus logistischen Gründen nur alle drei Tage erschienen, was Luise die Gelegenheit gab, an den Tagen, an denen keine Zeitung geliefert wurde, einfach so lange zu schlafen, bis sie die Obersthofmeisterin mit donnerndem Schritt weckte (selbst Preußens Königin konnte nicht immer so handeln, wie sie wollte). Bis Luise geruhte, sich mittels einer ausgiebigen Morgentoilette zum Mittagmahl zurechtzumachen, standen die Zeiger bereits auf zwölf Uhr. Ein, wenn nicht sogar zwei Stunden dieser kostbaren Zeit am Vormittag widmete sie ihren zahlreichen Kindern. Sie tollten im Bett herum, neckten sich, machten Kissenschlachten oder schmusten einfach nur mit ihrer geliebten Mutter. Mit diesen possierlichen Szenen von Mutterliebe und Mutterglück stieg Preußens schöne Königin quasi zur Heiligen der neuen bürgerlichen Bewegung auf und avancierte zu deren Vorbild. Eine Königin, die ihre Kinder selbst erzieht – wo hatte es das, zumal im rigiden Preußen, schon einmal gegeben?
Freilich unterlag dieses Bild einer geschickt lancierten Täuschung, denn selbstverständlich hatte auch Preußens Herrscherpaar eine ganze Heerschar von Erziehern, Gouvernanten, Lehrern und Exerziermeistern für ihren Nachwuchs engagiert. Doch irgendwie ging dies in all dem Trubel über die Volksnähe der Königin unter. Zu ihrem Glück.
Ein Grund, warum Luise gerne lange schlief, war der, dass sie keine Feier ausließ. In einem berühmten Brief aus ihrer Zeit als Kronprinzessin an ihre Schwester Therese schreibt sie: »Mach Dich darauf gefasst, dass ich bald sterben werde. Denn seit ich mit diesem Brief begann, habe ich immer nur getanzt und bis zu meinem Geburtstag finden noch sieben Bälle statt (…). Morgen ist Ball bei der Königinwitwe, übermorgen große Gesellschaft bei mir, Freitag Ball bei dem Grafen Alvensleben (…), am Sonnabend bei Podewils und am Sonntag bei dem König. Da kann man wirklich seine Seele verlieren und sein Testament machen.« [34]
Kein Wunder, dass Luise ausschlafen musste, um dieses Pensum durchzustehen – denn vor diesen Veranstaltungen drücken konnte sie sich keineswegs. Es war nicht nur ihre königliche Pflicht, auf allen Feiern zu erscheinen, es war auch ein Instrument der Politik, zu feiern, zu tanzen und sich zu amüsieren. Denn nicht nur das aufbegehrende Bürgertum musste in Schach gehalten werden, auch den Adel galt es bei Laune zu halten. Dieses Bedürfnis wusste Luise geschickt zu bedienen, indem sie mit allen – ob mit Herren von hohem Stande oder mit niederen Offizieren – die Nächte durchtanzte. Auch wenn ihr deshalb eine gewisse Willfährigkeit nachgesagt wurde, vermittelte sie so das allgemeine Gefühl, für alle Belange ein offenes Ohr zu haben – das höfische Kalkül ging auf. Was weniger wahrgenommen wurde, war, dass das Königspaar selbst nur so viele Feste ausrichtete, wie es die Höflichkeit gebot. Statt allzu oft zu opulenten Feiern
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