Der frühe Vogel kann mich mal: Ein Lob der Langschläfer (German Edition)
wollen, sich mittags aufs Ohr zu hauen. Seine Kunden findet er insbesondere in der sogenannten Kreativbranche, bei kleineren Unternehmen, die in der Werbung, der IT-Branche oder der Kommunikationsbranche tätig sind und international operieren müssen. Aber Namen darf er keine nennen, denn »die Firmen haben Angst um ihren guten Ruf.« [47] Die Angestellten anscheinend ebenso: Beim ADAC gibt es nur zehn Liegen für 2500 Mitarbeiter, im Forschungszentrum des Münchener Autoriesen BMW gibt es für rund 7000 Mitarbeiter sogar nur zwei – und diese werden, so BMW-Pressesprecherin Heike Stegert, »wenig genutzt.« [48] Eine ähnliche Zurückhaltung zeigt sich beim Chemiekonzern BASF. Die Unternehmensleitung lud die Mitarbeiter der Standorte Ludwigshafen und Limburgerhof zu Powernappingkursen ein. Von den rund 345 000 Mitarbeitern nahmen lediglich 300 das Angebot wahr. Die Befürchtung, als Schlafmütze zu gelten, war offenbar höher als der Wunsch, neue Entspannungstechniken zu lernen.
Insgeheim freilich scheint die Bedürfnislage eine andere zu sein. In einer Studie zur Produktivität, die an der Universität Krefeld erarbeitet wurde, gaben vier von fünf Befragten an, ihre Mittagspause am liebsten zu verschlafen. Kaffeetrinken (16 Prozent), einmal um den Block gehen (12 Prozent) und ein Schwätzchen mit den Kollegen halten (11 Prozent) lagen weit dahinter.
Das Thema Mittagsschlaf ist in Deutschland also ein schwieriges – sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber fürchten sich vor Imageverlust. Jürgen Zulley, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums der Universität Regensburg und Verfechter des kurzen Mittagsschlafs, vermutet, dass dieser in Deutschland als eine Art Arbeitsverweigerung angesehen wird. [49] Wie sehr man um seinen guten Ruf fürchtet, zeigt die verschleiernde Wortwahl, mit der den Mitarbeitern zuweilen doch ein Schläfchen zugestanden wird. Beim IT-Riesen IBM in Stuttgart spricht man von einem »Well-being-Konzept«, beim Softwaregiganten SAP vom »Work-Life-Management«, beim Callcenter der Bausparkasse Schwäbisch Hall und bei Unilever in Hamburg immerhin deutsch von »Ruheräumen«.
Weniger Albträume ob eines verschlafenen Images haben die Unternehmen in den USA. Schon immer Vorreiter für Wellness- und Fitnesstrends und interessiert an allem, was das Bruttosozialprodukt steigert, gehört es in vielen Firmen bereits zum Standard, den Mitarbeitern Ruheräume einzurichten, in denen bequeme Liegen und heruntergelassene Rollos zu einem Nickerchen einladen. An der Wall Street oder am Flughafen in Vancouver steigen gestresste Manager und Mangerinnen sogar in kokonartige Kugelsessel, die nach dem Einstieg individuell geneigt werden können, so dass der Rücken entlastet wird. Die Innenpolsterung ist dunkel, eine Blende schirmt vor neugierigen Blicken ab und plätschernde Musik sorgt für Entspannung. Geweckt wird man durch ein sanftes Vibrieren.
Vorausblickend in Sachen Schlaf und Leistung ist man hierzulande nur in wenigen Unternehmen – allen voran bei der Lufthansa. Schließlich ist nicht nur das Bodenpersonal mit stressigen Schichtdiensten konfrontiert, sondern auch die Bordcrew mit den Auswirkungen des Jetlags. Wenn die großen Maschinen über den Atlantik oder nach Asien fliegen, driften nicht nur die Fluggäste ins Reich der Träume ab, sondern auch die Pilotinnen und Piloten. Damit alles an Bord unter Kontrolle bleibt, wird nach einem ausgeklügelten Wechselsystem geschlafen/geruht. Doch was Gästen im Cockpit Furcht einflößt, sollte in Wahrheit ihre Gemüter besänftigen. Denn das strategische Schläfchen zielt darauf ab, Fehler, die durch Müdigkeit entstehen, zu vermeiden. Ein intelligentes »Fatigue Risk Management« – so die korrekte Bezeichnung – gegen menschliches Versagen.
Soweit die Theorie. Doch was können Sie tun, damit auch Sie vom Schlafintermezzo profitieren? Hier ein paar praxiserprobte Tipps für ein ausgeschlafenes Leben:
Nur zu . Vergessen Sie Ihr schlechtes Gewissen! Wer mittags schläft, sollte sich nicht mehr verstecken. Wenn schon die US-Weltraumbehörde auf ausgeschlafene Mitarbeiter setzt, müssen Sie sich von ihren Kollegen nicht als Schlafmütze beleidigen lassen. Denken Sie daran: Sie sind Avantgarde und die anderen nur schnöde Ignoranten. Mit Powernapping können B-Typen, wie Eulen in der Fachwelt genannt werden, die ihr Leben in einem permanenten Jetlag verbringen, gezielt den Schlaf nachholen, der ihnen morgens geraubt worden ist. Machen Sie sich frei
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