Der Fruehe Vogel Kann Mich Mal
amerikanische Kollegin Mary Carskadon, für einen späteren Schulanfang: »Wir schließen daraus, dass Heranwachsende und junge Erwachsene außerordentlich profitieren würden, wenn ihre innere Uhr stärker berücksichtigt würde. Dazu gehört unter anderem die Anpassung der Schulzeiten – vor allem bei Jugendlichen zwischen 15 und 25.« [31]
Eulen leben gefährlich
Was genau steckt hinter der Unfähigkeit, sich nach zu wenig Schlaf auf seine Arbeit oder den Unterricht zu konzentrieren? Der Biologe Michael Chee von der Duke National Universität Singapur ging dieser Frage nach und maß die magnetischen Hirnströme übernächtigter Testpersonen und stellte sie in Beziehung zu denen einer ausgeschlafenen Vergleichsgruppe. Während Seismographen die Hirnaktivität aufzeichneten, mussten die Probanden einen einfachen Reaktions- und Konzentrationstest durchführen: Auf einem Projektor erschienen nacheinander Buchstaben als visuelles Signal. Die Probanden sollten so schnell wie möglich nach Erscheinen dieser Signale eine Taste betätigen, die angab, ob ein Groß- oder ein Kleinbuchstabe gesehen wurde. Das Experiment dauerte über eine Stunde, man musste sich also relativ lange auf ein visuelles Signal konzentrieren. An der Reaktionszeit, die zwischen Erscheinen des Bildes und dem Tastendruck lag, konnte man Aufmerksamkeits-schwankungen messen. Die Schnellsten und Stärksten beider Gruppen waren in ihrer Konzentrationsfähigkeit gleich auf, bei den Langsamsten hingegen zeigten sich gravierende Unterschiede: Bei Übernächtigten reagierten die im Hirn ansässigen Kommandozentralen, die dafür sorgen, dass sich die Aufmerksamkeit nach nachlassender Konzentration wieder erhöht, kaum noch, und das Areal, das für die Verarbeitung optischer Reize zuständig ist, hatte sich im Wortsinn abgeschaltet und war gänzlich inaktiv. Chee vermutete, dass das Gehirn Übernächtigter sich in einem schlafähnlichen Zustand befindet. Das Abdriften in Tagträumereien und die Eigenart, bei völliger Übernächtigung dumpf und ohne Ziel in die Gegend zu starren, findet hier eine neurobiologische Erklärung. Chee schlussfolgerte, dass das unausgeschlafene Hirn einfach nicht fähig sei, sich aus einer Bewusstseinslücke herauszureißen, während bei Ausgeschlafenen die Funktion, sich nach einem gedanklichen Ausflug ins Nirgendwo wieder zusammenzureißen und auf die Aufgabe zu konzentrieren, zum Kerngeschäft gehört.
Das zeigte sich auch, wenn man die Besten beider Gruppen miteinander verglich: Die Übernächtigten konnten sich durchaus auf den Test konzentrieren, hatten zwischendurch aber völlige Aussetzer. Clifford Saper von der Harvard-Universität erläutert Chees Studie: »Das Ergebnis zeigt, dass das Gehirn von übernächtigten Individuen durchaus normal arbeitet. Aber zwischendurch leidet es an so etwas wie einem Stromausfall.« [32]
Problematisch war, dass die Probanden, die nicht genug geschlafen hatten und trotzdem funktionierten, sich aufgrund ihrer vergleichsweise exzellenten Bewältigung der gestellten Aufgabe im Gefühl wiegten, wach, ausgeruht und den Anforderungen des Tages gewachsen zu sein. Den Mini-Stopp ihrer Hirnaktivität bekamen sie gar nicht mit. Diese Ausfälle aber sind es, die jugendliche Schüler, Studenten und Auszubildende dazu disponieren, unvermittelt in den Tiefschlaf zu fallen. Sie weisen die gleichen Symptome auf wie Narkolepsie-Patienten. Und darin liegt die Gefahr: Denn wenn Menschen so übermüdet sind, dass sie im Stehen einschlafen könnten, dann neigen sie – ohne, dass sie es mitbekommen – zum hochgefährlichen Sekundenschlaf. Im Unterricht mag das im schlimmsten Fall das Gelächter der Mitschüler oder eine Abmahnung vom Lehrer eintragen, im Straßenverkehr jedoch können diese Mini-Blackouts tödlich sein, und sei es nur auf dem morgendlichen Weg zum Ausbildungsplatz. LKW-Fahrer, die über lange Strecken am Steuer sitzen, kennen dieses Phänomen, aber auch abstinente Diskogänger, die nach durchtanzter Nacht ihre angetrunkenen Freunde nach Hause fahren wollen, sind nicht so fit, wie sie glauben. Manfred Walzl, Neurologe und Psychiater der Landesnervenklinik Graz, erklärt, dass Schlafmangel die benebelnde Wirkung von Alkohol haben kann. »Nach 17 Stunden Wachzeit am Stück reagiert der Mensch so, wie wenn er 0,5 Promille Alkohol im Blut hätte, nach 24 Stunden sogar wie 1,0 bis 1,2 Promille.« [33]
Ein ähnlicher Effekt hat Schlafmangel bei Menschen, die zu früh aus dem Bett gerissen
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