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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Ermordete.
    Maione begab sich gemäß Ricciardis Anweisungen kurz vor dem Mittagessen zum Haus der Serras. Er wartete, bis der Pförtner sich in sein Pförtnerhäuschen zurückzog, und schlich dann vorsichtig hinein, sorgsam darauf bedacht, von den Fenstern der Belle Etage aus nicht gesehen zu werden.
    So erfuhr er, dass die Signora ohne Chauffeur ins Theater fahren würde; sie hatte dem Pförtner aufgetragen, ihrneues rotes Auto bereitzustellen und es vollzutanken. Der Mann klagte wie immer, er müsse alles allein machen, und Maione nickte geduldig, obwohl er ihn unerträglich fand. Dann allerdings erfuhr er etwas, das ihm äußerst interessant erschien: Auch der Professor hatte den Pförtner gefragt, ob er wisse, was die Signora am Abend vorhabe, und hatte ihn dann geheißen, dem Chauffeur Bescheid zu geben, denn auch er würde ausgehen. Ins Theater, hatte er hinzugefügt. War diese ganze Verschwendung nicht absurd? Wozu brauchte man um Himmels willen zwei Fahrzeuge, um zwei Personen am selben Abend in dasselbe Theater zu bringen?

    Als Maione ihn informierte, zog Ricciardi eine Grimasse. Na schön, ins Theater also. Schon wieder sollten wahre und gespielte Leidenschaften durcheinander geraten. Mal sehen, welche davon mehr ins Auge fallen würden.
    Im Theater. Das sollte also der Ort sein, an dem das Rätsel gelöst werden würde. Nun gut. Im Theater. Wir werden auch dort sein, dachte er. Er beauftragte Maione, eine kleine Einsatztruppe in zivil zusammenzustellen; vier Männer sollten es sein, die an verschiedenen Punkten des Zuschauerraums und am Ausgang zu postieren seien. Einer davon sollte sich unauffällig neben den Professor setzen, um einer etwaigen unbesonnenen Tat zuvorkommen zu können.
    »Und Sie, Commissario? Was werden Sie tun?«
    Völlig unerwartet deutete Ricciardi ein Lächeln an und strich seine Haarsträhne mit einer Handbewegung aus der Stirn. Seine Augen glänzten im Licht der bereits tief stehenden Sonne.
    »Ich werde eine junge Dame abholen gehen. Heute Abend komme ich in Begleitung. Bitte lass an der Kasse zwei Eintrittskarten für mich zurücklegen.«

    Nunzia Petrone traute ihren Ohren nicht. Sie war von Natur aus misstrauisch, und erst recht gegenüber einem Polizisten. Die Bitte des Kommissars kam ihr absurd vor, fast wie ein Scherz, doch konnte sie in seinem Blick keinerlei Heiterkeit erkennen.
    »Antonietta? Warum denn? Wozu brauchen Sie sie?«
    Ricciardi, der mit den Händen in den Manteltaschen und seiner Haarsträhne in der Stirn vor ihr stand, sah ihr direkt in die Augen.
    »Weil sie vielleicht dabei war, als die Calise ermordet wurde. Sie haben mir selbst gesagt, dass sie an dem besagten Abend noch eine Stunde bei ihr war. Hätte der Mörder es gemerkt, hätte er wahrscheinlich auch sie umgebracht. Vielleicht kann sie uns helfen, den Mörder wiederzuerkennen, wenn sie ihm gegenübergestellt wird. Das könnte doch sein.«
    Die Petrone schaute sich mit ihren kleinen Äuglein um, als ob sie Hilfe bei den armseligen Dingen in ihrer Küche suchte.
    »Aber Antonietta versteht nicht, Commissario. Sie führt immer Selbstgespräche, als ob sie Leute sehen könnte, die wir nicht sehen, Kinder, mit denen sie in ihrer Fantasie spielt. Sie ist ... einfältig, Sie sehen sie doch. Was erwarten Sie denn von dem armen Kind?«
    Ricciardi zuckte mit den Schultern.
    »Es ist bloß ein Versuch, weiter nichts. Ich verspreche Ihnen, dass ihr nichts passieren kann. Ich werde die ganzeZeit über bei ihr sein. Später bringe ich sie Ihnen dann unversehrt zurück. Und wer weiß, vielleicht gefällt’s ihr ja sogar und sie findet es nett im Theater.«

    So kam es, dass Ricciardi und Antonietta gemeinsam von der Sanità zum Teatro dei Fiorentini hinuntergingen. Das Mädchen schlurfte mit den Füßen und hielt seine rechte Hand nahe dem Mund, wobei es ständig seinen Singsang vor sich hin murmelte. Die Leute, an denen sie vorbeikamen, hörten auf zu reden und traten zur Seite.
    Die Schatten wurden allmählich länger, doch die Straßenbeleuchtung war noch nicht eingeschaltet. Es war die Uhrzeit, zu der mancher Traum sich konkretisierte.
    Am Anfang der Via Toledo schaute Ricciardi wie gewöhnlich leicht schräg zu den Toten. Antonietta lächelte und winkte ihnen zu.
    Der Kommissar schauderte, als das Mädchen anhielt, um den Geist eines kleinen Jungen mit aufgebrochenem Schädel zu streicheln. Vielleicht ein Straßenbahnunfall. Hosenträger führten über seinen nackten und blutigen Brustkorb.

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