Der Fruehling des Commissario Ricciardi
sein, nehme ich an. Sie sind wohl kaum als Mandanten gekommen.«
Dabei lächelte er verschwörerisch. Die beiden erwiderten seinen vertraulichen Blick nicht und blieben stehen.
»Sehr freundlich von Ihnen, Herr Professor. Wir müssen allerdings mit Ihrer Frau Gemahlin sprechen – je eher, desto besser.«
»Selbstverständlich, Commissario, sie kommt gleich. Doch ich werde dabei bleiben, das steht völlig außer Frage. Als ihr Anwalt versteht sich, falls ich als Ehemann nicht zugelassen bin. Um mit ihr allein zu sprechen, müssen Sie sie schon verhaften. Vorausgesetzt natürlich, Sie finden einen Richter, der dazu bereit ist, Ihnen einen Haftbefehl auszustellen. Soll ich sie also rufen lassen?«
Ricciardi dachte rasch nach: Es ging nur um ein paar Routinefragen, nach denen sie die Ermittlungen höchstwahrscheinlich würden abschließen können. Eine Frau aus der besseren Gesellschaft, die sich ihre Sorgen von einer Kartenlegerin vertreiben ließ.
»Gut, einverstanden. Bringen wir es hinter uns.«
XLVIII
Ricciardi betrachtete Emma Serra di Arpaja sehr genau: Er hatte sie sich ganz anders vorgestellt, als sie nun vor ihm saß.
Sie war blass, hatte dunkle Ränder um die Augen, eingefallene Wangen. Geschminkt war sie fast gar nicht, nur die Augen waren leicht betont. Ihre nach der neuesten Mode kurzgeschnittenen Haare hatte sie aus der Stirn heraus und hinter die Ohren gekämmt. Sie trug ein graues Kleid, einfache Schuhe mit niedrigem Absatz, Seidenstrümpfe.
Mit unergründlichem Gesichtsausdruck starrte sie den kleinen Wohnzimmertisch an; falls sie dabei etwas empfand, so war es ihr nicht anzumerken. Die Polizisten hattesie leise und teilnahmslos begrüßt. Auf eine dumpfe, abwesende Art schien sie leidend und mit ihren Gedanken weit weg zu sein.
Ihr Mann hatte sie bis jetzt nicht angesehen. Er beobachtete Ricciardi, um sein Verhalten abzuschätzen. Man konnte die Anspannung im Raum förmlich knistern hören.
Nach einem langen, peinlichen Schweigen sprach Ricciardi als Erster.
»Signora, in welcher Beziehung standen Sie zu Carmela Calise, gemäß den uns vorliegenden Angaben Kartenlegerin, die am 15. April tot in ihrer Wohnung aufgefunden wurde?«
Emma blickte ihn nicht an. Ihre Stimme klang monoton.
»Ich war ein paar Mal bei ihr. Gemeinsam mit einer Freundin.«
»Aus welchem Grund?«
»Nur so, zum Zeitvertreib.«
»Über was haben Sie mit ihr gesprochen?«
Emma sah kurz zu ihrem Mann, antwortete dann aber im selben Ton.
»Sie las mir aus den Karten, sagte mir Dinge.«
»Was für Dinge?«
Nun mischte sich Ruggero ruhig in das Gespräch ein.
»Commissario, ich glaube nicht, dass der Inhalt der Unterhaltungen zwischen meiner Frau und der Calise für Ihre Ermittlungen von Belang ist. Finden Sie nicht auch?«
Ricciardi hielt es für notwendig, den Professor unverzüglich in seine Schranken zu verweisen.
»Was die Ermittlungen betrifft, so möchte ich Siebitten, uns selbst entscheiden zu lassen, was wir für wichtig halten und was nicht. Bitte sagen Sie mir also, Signora: Über was redeten Sie?«
Emmas Antwort klang, als würde sie von einer anderen Welt und völlig anderen Menschen sprechen.
»Ich ging gerne hin. So musste ich nie selbst nachdenken, sie zerstreute alle meine Zweifel. Mein Leben ... wissen Sie, Commissario, wir alle leben in großer Unsicherheit. Soll ich das tun? Oder lieber das? Bei ihr gab’s keine Zweifel. Sie mischte ihre Karten, spuckte darauf und traf Entscheidungen. Und sie irrte sich nie.«
Ricciardi sah der Frau direkt ins Gesicht. Er glaubte, den Anflug eines Gefühls herausgehört zu haben.
»Und in letzter Zeit? Gingen Sie oft zu ihr?«
An ihrer Stelle antwortete Ruggero mit fester Stimme.
»Commissario, meine Frau sagte doch, dass sie ein paar Mal hingegangen ist. Das lässt auf zufällige, gelegentliche, wenn nicht gar seltene Besuche schließen. Es bedeutet auf keinen Fall ›oft‹.«
Ohne seinen Blick von der Frau abzuwenden, machte Ricciardi Maione ein Zeichen, der aus seiner Jacke das Heft der Calise zog.
»In diesem Terminkalender«, sagte der Brigadiere dann, nachdem er sich geräuspert hatte, »den wir in der Wohnung des Opfers gefunden haben, taucht der Name Ihrer Frau ausgeschrieben und in Initialen innerhalb von dreihundert Tagen insgesamt einhundertsechzehn Mal auf. Ich gehe doch wohl recht in der Annahme, dass wir hierbei von ›oft‹ sprechen können, nicht wahr, Herr Professor?«
Ruggero schnaubte verärgert. Emma antwortete.
»Ja doch, ich
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