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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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beiden Frauen hinausgebracht hatte, starrte Ricciardi immer noch bestürzt die Tür an.
    »Was bedeutet das?«
    »Was denn, Commissario?«
    »Das, was Iodices Mutter gesagt hat. Was wollte sie uns damit zu verstehen geben?«
    Maione sah ihn besorgt an. Dieser Fall förderte einen ganz neuen Ricciardi zutage, zumindest kannte er ihn so nicht.
    »Ach, meinen Sie das mit dem Herrgott und dem Samstag? Manchmal vergesse ich, dass Sie nicht von hier sind. Sagt man das bei Ihnen nicht? Es ist ein Sprichwort. Es bedeutet, dass man die Belohnung oder Strafe für etwas, das man tut, nicht zu einem festen Zahltag erhält, so wie Schulden im Geschäftsleben erstattet werden. Ich glaube allerdings nicht, dass die Iodice uns drohen wollte.«
    Ricciardi wedelte kurz mit der Hand, als wolle er Maiones Vermutung damit verscheuchen.
    »Nein, nein, das weiß ich. Ich hab’ den Satz bloß schon mal irgendwo gehört. Damals dachte ich, es gehe darin tatsächlich um Schulden und Zahltage. Dass das Ganze wörtlich zu nehmen sei.«
    In diesem Moment klopfte es vorsichtig an der Tür und im Türrahmen erschien das spitze Gesicht von Ponte, Garzos Amtsdiener. Sein Blick huschte in rascher Abfolge zwischen Sessel, Wand und Bücherregal hin und her, dann begann das Männchen zu sprechen.
    »Verzeihen Sie, Commissario. Der Vizepräsident erwartet Sie.«
    Während er mit Maione zu Garzo hinaufging, dachte Ricciardi über den neuen Blickwinkel nach, der durch das Gespräch mit den zwei Iodice-Frauen entstanden war. Als er vom Selbstmord des Pizzabäckers erfahren hatte, schien auf der Hand zu liegen, dass er der Mörder war; und seine Vernunft sagte ihm das immer noch. Allerdings musste er zugeben, dass das, was ihm die beiden Frauen erzählt hatten, ihn ganz und gar nicht kalt gelassen hatte und ein wenig verunsicherte.
    Dann war da noch das Sprichwort. Ricciardi hatte von Anfang an geglaubt, dass das Verbrechen in Verbindung zu Carmela Calises Tätigkeit als Geldverleiherin stehe, und auch ihr letzter Gedanke schien auf die Rückzahlung einer Schuld hinzudeuten, was seine Annahme bestätigte. Nun allerdings, da er wusste, dass das Sprichwort sich offensichtlich auf den Lauf des Schicksals bezog, waren natürlich noch einige dunkle Punkte zu klären. Zweifellos schien Iodice als Mörder am wahrscheinlichsten; doch es war notwendig, die Ermittlungen zu Ende zu führen, bevor man sich dieser Überzeugung vollständig ergab.
    Das Schicksal also. Schon wieder das vermaledeite, unergründliche Schicksal. Die Zuflucht vor Angst und Verantwortung: »das ist Schicksal«, »sich seinem Schicksal fügen«, »das Schicksal herausfordern«. Überall – in Liedern, in Erzählungen – war davon die Rede. Es war in den Köpfen der Leute fest verankert.
    Als ob alles vorherbestimmt wäre oder geschrieben stünde und nichts dem Ermessen der Menschen überlassen bliebe. Und doch existiert das Schicksal nicht, dachteRicciardi, als er mit Maione an Garzos Tür ankam. Es existieren nur das Böse und der Schmerz.
    Garzo schritt ihnen mit einem strahlenden Lächeln entgegen.
    »Mein lieber Ricciardi! So ist das Leben, nicht wahr? Immer noch haben wir es mit ein paar jämmerlichen Verbrechen zu tun; auch wenn in der neuen Ära so gut wie keine Straftaten mehr begangen werden. Wir leben im Zeitalter der Ordnung und des Wohlstands, und wenn doch einmal ein paar Verrückte Verwirrung stiften, gibt es ja zum Glück uns, um wieder alles ins Lot zu bringen. Aber bitte, Ricciardi, machen Sie es sich doch bequem.«
    Ricciardi hatte den kleinen Vortrag mit einem spöttischen Lächeln angehört. Könnte ich dich doch nur einen einzigen Tag lang in die armen Viertel schicken, du aufgeblasener Pfau, dachte er. Dann würden dir Ordnung und Wohlstand sehr schnell vergehen.
    »Dottore, wenn Sie Anweisungen haben ... ich stecke gerade mitten in einer Ermittlung, wie Sie wissen. Meine Zeit ist knapp.«
    Garzo ballte kurz die Hände zu Fäusten; dieser Mann ging ihm gehörig auf die Nerven, stets ließ er es in seiner ruhigen Art am nötigen Respekt fehlen. Dennoch versuchte der Vizepräsident, sich zu beherrschen, um nicht von den Verhaltensmaßregeln abzuweichen, die er sich selbst auferlegt hatte.
    »Gerade darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. Ich habe gehört, was mit diesem Pizzabäcker passiert ist, wie hieß er doch gleich ...«, er schaute kurz auf einen Zettel, der auf seinem ansonsten jungfräulichen Schreibtisch lag, »ach ja, Iodice. Er ist gestorben, oder? Infolge

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