Der Fruehling des Commissario Ricciardi
Zimmer der Signora aufzuräumen, wo sie die Flecken von Wein und Erbrochenem wegwischte.
Dann hatte sie das Arbeitszimmer des Professorssauber gemacht und die schmutzigen Schuhe gefunden, die sie jetzt in dem kleinen Schränkchen bei sich in der Küche verwahrte.
Teresas Blick schweifte zum Meer, von wo eine leichte duftende Brise zu ihr wehte. Es ist Frühling, dachte sie.
Nachdem er Maione losgeschickt hatte, ging Ricciardi allein zurück ins Büro. Vor seiner Tür wartete Ponte bereits auf ihn.
Vizepräsident Garzo war außer sich vor Wut, wie an seiner Kurzatmigkeit und den roten Flecken in seinem Gesicht leicht zu erkennen war. Außerdem ging er Ricciardi nicht entgegen, als er das Zimmer betrat.
»Ricciardi, ich habe mit Ihnen zu sprechen. Wie immer missachten Sie meine Anweisungen. Diesmal allerdings habe ich nicht die geringste Absicht, Ihr Benehmen hinzunehmen, es sei denn, Sie hätten eine Erklärung dafür.«
Ricciardi neigte den Kopf ein wenig zur Seite und sah Garzo fragend an.
»Ich verstehe nicht ganz, Dottore. War nicht vereinbart, dass ich Signora Serra di Arpaja vernehmen würde? Dass wir mit dem Auto zu ihrem Haus fahren würden? Genau das haben wir getan.«
Garzo schnaubte wie ein Stier.
»Der Professor hat mich gerade angerufen, um sich zu beschweren. Er fand Ihr Verhalten ziemlich respektlos. Sie hätten ihn fast wie einen Verbrecher behandelt. Stimmt das?«
Ricciardi zuckte mit den Schultern.
»Nicht jeder kann mit den Gepflogenheiten der höheren Gesellschaftsschichten vertraut sein. Ich habe Sie jaschon oft um Ihr diplomatisches Fingerspitzengefühl beneidet. Bei dem Verhör habe ich mich darauf beschränkt, die Routinefragen zu stellen, ohne irgendwelche Vermutungen durchklingen zu lassen. An Ihrer Stelle würde es mich allerdings beunruhigen, wie verbissen dieser Mann sich verteidigt: Normalerweise, wie Sie aufgrund Ihrer Erfahrung ganz sicher wissen, verhält sich so jemand, der etwas zu verbergen hat.«
Garzo wandte den Blick ab. Ricciardi war sich sicher, dass er, wenn er sich ihm genähert hätte, sein Gehirn hätte auf Hochtouren laufen hören können. Der Bürokrat schätzte es nicht, Ärger mit den Honoratioren der Stadt zu haben, doch noch wesentlich weniger behagte ihm die Aussicht auf einen Mörder, den nicht die Ermittlungen der Polizei, sondern ein bloßer Zufall zutage fördern würde. Dann nämlich würde die Presse ihn ans Kreuz schlagen und ihm vorwerfen, er habe den Professor gedeckt. Einen ähnlichen Fall gab es schon einmal. Und Ricciardi wusste es.
»Da haben Sie natürlich recht. Ricciardi, ich möchte Sie bei Ihren Ermittlungen nicht beeinflussen, nichts läge mir ferner als das. Aber ich muss Sie zum zweiten und hoffentlich letzten Mal dazu auffordern, mit der größtmöglichen Diskretion vorzugehen. Falls Sie jemanden aus der Familie Serra di Arpaja vernehmen möchten, müssen Sie zuvor meine Erlaubnis einholen. In Ordnung?«
»Ja, Dottore. In Ordnung.«
Endlich konnte Maione das machen, was ihm lag: Beinarbeit. Er liebte es, Informationen, Namen und Umstände zusammenzutragen, kleine Geschichten, die Bruchstückeeiner größeren Geschichte waren. Diese Art von Arbeit ließ ihn mitten ins Geschehen eintauchen, brachte ihn überall hin, in Büros und Geschäfte, in die kleinen dunklen Gassen ebenso wie in die großzügigen baumgesäumten Alleen. Er lernte dabei neue Leute kennen und sah alte Gesichter wieder, hörte die Stimmen der Stadt. Für andere Gedanken war kein Platz: Das brauchte er jetzt, mehr als je zuvor. Zwei Abende zuvor hatte er eine andere Luft geschnuppert, eine, die er fast schon vergessen hatte: Es war die Luft eines Zuhauses. In dieser Luft lagen die Bemühungen einer fürsorglichen Frau, der Duft eines für ihn zubereiteten Essens. Er hatte sogar geglaubt, echte Sorge wegen seiner Müdigkeit in Filomenas Augen zu lesen.
Und doch war ihm das Herz schwer. Es kam ihm vor, als ob er sich in ein fremdes Leben hineingedrängt hätte, widerrechtlich sozusagen, als bloßer Zuschauer. Unbehaglich und traurig war ihm zumute gewesen. Zu Hause hatte er sich dann leise ins Bett gelegt, und erst dort fühlte er sich an seinem Platz, auch wenn Lucia sicher schon seit Stunden schlief, in ihre Welt aus Erinnerungen abgetaucht war.
Daran dachte er, als er endlich den Pförtner des Herrenhauses der Serra di Arpaja herauskommen sah, diesmal ohne Uniform und zweifellos auf dem Heimweg. Er trat aus dem Schatten des gegenüberliegenden Hauseingangs
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