Der Fruehling des Commissario Ricciardi
ging oft zu ihr. Für mich war es eine Zerstreuung. Manchmal braucht man Zerstreuungen. Vor allem, wenn das Leben unerträglich wird.«
Ricciardi und Maione verstanden sofort, dass sie da etwas Unerhörtes gesagt hatte. Beide schauten sie Ruggero an, der keinerlei Reaktion zeigte und weiterhin stumm ins Leere blickte. Der Kommissar fuhr fort.
«Über was sprach die Calise mit Ihnen? Hat sie Ihnen vielleicht etwas anvertraut oder Namen genannt? Hat sie Ihnen gesagt, dass sie sich wegen irgendetwas Sorgen machte, oder haben Sie gespürt, dass ihr Gefahr drohte?«
Maione sah Ricciardi überrascht an. Er hatte erwartet, dass der Kommissar weitere Fragen zum Unbehagen der Signora stellen, versuchen würde, etwas über die Kluft herauszufinden, die sie und ihren Mann voneinander trennte. Doch er machte mit der Calise weiter.
»Nein, Commissario. Wir sprachen von anderen Dingen, wie ich Ihnen schon sagte. Sie las mir aus den Karten. Weiter nichts. Sie sagte mir, was passieren würde, und lag immer richtig damit.«
Nachdem die Signora sich zurückgezogen hatte, brachte Ruggero Maione und Ricciardi zur Tür.
»Sie sehen ja selbst, Commissario, meine Frau ist ein Kind. Sie hat ihre kleinen Laster, die Vergnügungen, Dummheiten, die sie mit ihren Freundinnen macht. An dem Abend, an dem die Calise getötet wurde, war sie allerdings mit mir zusammen bei seiner Exzellenz, dem Präfekten, zum Essen eingeladen. Ich habe die Sache aus der Zeitung erfahren. Unser Name ist in der Stadt sehr bekannt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn das Thema mitunserem Plauderstündchen eben abgehandelt wäre. Kann ich in dieser Hinsicht auf Sie zählen?«
»Wir wünschen genau dasselbe wie Sie, Herr Professor. Nämlich dass kein Unschuldiger für etwas büßen muss, das er nicht getan hat. Sie und Ihre Frau Gemahlin können ganz beruhigt sein. Wir nehmen unsere Arbeit ernst.«
Als sie unter den verdrießlichen Blicken des Pförtners aus der Haustür heraustraten, kommentierte Maione die Begegnung.
»Commissario, ich verstehe nicht, warum Sie die Sache nicht weiter vertieft, den Herrschaften nicht auf den Zahn gefühlt haben? Mir kam’s vor, als ob die Signora eine auswendig gelernte Lektion aufsagen würde, die der Professor ihr zuvor beigebracht hatte, und dann ist ihr dummerweise rausgerutscht, dass sie unglücklich ist. Hätte es sich nicht gelohnt, ein wenig mehr darüber rauszufinden? Wer weiß, ob die Dame nicht aus lauter Langeweile damit angefangen hat, ein paar alte Frauen um die Ecke zu bringen, könnte doch sein?«
Ricciardi stoppte Maione, bevor sie ins Auto einstiegen, indem er ihm die Hand auf den Arm legte.
»In der Tat. Hör zu, Maione, bevor ich einsteige, will ich dir was sagen, nur für den Fall, dass ich nicht mehr lebend aussteigen sollte: Hier liegt noch einiges im Dunkeln. Die Serra war viele Male bei der Calise, die bei ihr Nunzias Hilfe nicht in Anspruch nahm. Folglich muss jemand anders der Informant gewesen sein. Ich will, dass du Nachforschungen über das Leben der Signora anstellst, aber sei bitte sehr vorsichtig. Ich möchte wissen, mit wem sie verkehrt, wo sie hingeht, wenn ihr Mann nicht zu Hause ist, wie ihre Freunde heißen und was die Hausangestelltensagen. Und zwar so schnell wie möglich. Mein Gefühl sagt mir, dass wir nicht mehr viel Zeit haben: Entweder wir sagen, dass es Iodice war, oder sie entziehen uns ruck, zuck den Fall.«
»Wird gemacht, Commissario. Allerdings hab’ ich nicht ganz verstanden, was das mit dem ›nicht mehr lebend aussteigen‹ sollte. Das müssen Sie mir bei Gelegenheit erklären.«
XLIX
Teresa sah aus dem Küchenfenster zu, wie die beiden Polizisten ins Auto einstiegen und der Wagen mit einem Satz losfuhr. Sie war neugierig geworden; die grünen, kristallklaren Augen des Kommissars hatten sie beeindruckt. Sie hatte ihre Herrschaften genau beobachtet: Der Professor, der sich in den letzten Tagen weder gewaschen noch rasiert hatte, war noch erhabener und eleganter als sonst aufgetreten; die Signora, sonst immer wunderschön und der neuesten Mode entsprechend gekleidet, erinnerte sie in dem bescheidenen Aufzug an die Haushälterin des Pfarrers in ihrem Heimatdorf.
Als sie den Tee servierte, hatte man geschwiegen; die Gesichter hatte sie zwar nicht gesehen, weil sie nach unten blickte, doch sie hatte die angespannte Stimmung im Raum sehr deutlich gespürt. Aus dem Wohnzimmer war nur Geflüster gedrungen, niemand hatte die Stimme erhoben. Teresa hatte die Zeit genutzt, um das
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