Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
Vom Netzwerk:
arroganter, gebieterischer Hausherren und das dritte wurde aus Mitleid und zum Dank für die boshaften Informationen spendiert, die seiner Missgunst entsprungen waren.
    So war es mittlerweile Zeit fürs Abendessen und Maiones Gewissen vorübergehend zum Schweigen gebracht.Bei Filomena wieder um diese Uhrzeit aufzutauchen hätte ihren Treffen allerdings jede noch so heuchlerische Zufälligkeit genommen und eine Gewohnheit entstehen lassen, zu der er nicht bereit war. Noch nicht jedenfalls. Also näherte er sich unsicher seinem Zuhause. Er wusste, dass er an eine Weggabelung kommen würde, an der seine Füße ganz allein und ohne sein Zutun eine von zwei Richtungen einschlagen würden.
    Wohin seine Füße ihn getragen hätten, erfuhr er allerdings nie: Als er den Menschenauflauf an der Abzweigung zum Vico del Fico erkannte, blieb ihm das Herz in der Brust stehen und sein Atem stockte. Er glaubte, der mysteriöse Urheber des Schnitts habe sein furchtbares Werk von vor fünf Tagen zu Ende geführt, feige davon profitierend, dass niemand da war, der Filomena hätte schützen können: Wie er zum Beispiel.
    Als er sich durch die Herumstehenden einen Weg bahnte und in Richtung der Kellerwohnung lief, hatte er das Gefühl, wie in manchen Träumen durch eine Art Nebel zu schwimmen, der auch die Gedanken langsamer werden lässt. Beim Laufen bereute er seine Unentschlossenheit und verwünschte das dritte Bier, das er mit dem Pförtner getrunken hatte. Erst als er auf der Höhe von Filomenas Haus angelangt war, merkte er, dass das Ziel der Leute nicht ihre Wohnung, sondern die daneben war. Filomenas Tür stand offen, das Zimmer war leer. Mechanisch folgte Maione dem Menschenstrom.
    Alle standen sie zusammengedrängt in der Eingangstür, aber wie stets machte man seiner Uniform Platz. Drinnen saß inmitten einiger weinender, schwarz verhüllter Klageweiber ein blasses Mädchen mit ausdruckslosemBlick, das sorgfältig gekämmt und gekleidet war. Neben ihr befand sich Filomena. Sie hatte ihren Schal hochgezogen, um die verbundene Wunde vor fremden Blicken zu schützen, die andere Hälfte ihres Gesichts war tränenüberströmt.
    Auf einem Bett in der Mitte des Zimmers ruhte ein Leichnam in staubigen und kalkbefleckten Arbeitskleidern; ein Maurer, dachte Maione. Neben ihm standen ein Dutzend Männer, die genauso angezogen waren: Einer von ihnen war Gaetano, Filomenas Sohn.
    Obwohl die Leiche zur Aufbahrung so gut wie möglich zurechtgemacht worden war, erkannte Maione sofort, dass der Mann bei einem Sturz gestorben sein musste: Der Rücken war unnatürlich verbogen, um den Mund herum befanden sich Spuren geronnenen Bluts, der Nacken hinterließ auf dem Kissen nicht den üblichen Abdruck.
    Als Filomena Maione sah, kam sie ihm entgegen.
    »Ach, Raffaele, so ein Unglück! Arme Rituccia! Sie hatte nur noch ihren Vater. Ihre Mutter ist gestorben, als sie noch klein war, sie war eine Freundin von mir. Und jetzt auch noch der Vater. Das ist wirklich eine Tragödie. Gaetano und sie sind zusammen aufgewachsen. Stellen sie sich vor, mein Sohn und Salvatore arbeiteten zusammen auf derselben Baustelle in der Via Toledo. Er hat ihn herabstürzen sehen, armes Kind, das muss ein Schock gewesen sein, ausgerechnet vor seinen Augen ...«
    Maione schaute zu Gaetano, der nicht weit vom Bett entfernt im Schatten stand. Hinter seinem Rücken vernahm er die ein oder andere geflüsterte Bemerkung: »Jetzt hat sie sich mit dem Polizisten angefreundet«, »Hast du gehört, sie hat ihn beim Vornamen genannt ...« Ohneerkennbaren Grund schämte er sich ein wenig. Und er schämte sich wiederum für diese Scham.
    Er wandte sich dem Mädchen zu, dem Objekt des geräuschvollen Mitgefühls der anwesenden Frauen, und stellte fest, dass sie keine Tränen in den Augen hatte, was ihn nicht überraschte. Er wusste, dass Schmerz oft nicht nach außen dringt. Als er sie beobachtete, fing er einen Blick zwischen dem Mädchen und Gaetano auf. Ein sehr kurzer Blick war es, der Anflug eines Lächelns. Niemand außer Maione hatte es bemerkt. Es war nicht das Lächeln eines Kindes. Gaetano ließ sich nichts anmerken, sein Gesicht war wie versteinert.
    Dem Brigadiere lief es kalt den Rücken herunter.
LI
    Als Ricciardi am nächsten Morgen zum Präsidium ging, war er noch schwermütiger als sonst. Seit der grausamen Ermordung der Calise war nun ein weiterer Tag vergangen und aus bitterer Erfahrung wusste er, dass die Zeit der schlimmste Feind der Ermittler war.
    Genau wie seine

Weitere Kostenlose Bücher