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Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Titel: Der Frühling - Hyddenworld ; 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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übel mitspielen. Es war, als sei eine Schar böser, alter und längst aus dem Gedächtnis der Menschen getilgter Götter zurückgekehrt, nur um den Sterblichen zu zeigen, wie groß ihr Widerwille gegen sie war.
    In Gestalt launischer Winde wirbelte ihr wilder Atem den Sand der Wüsten auf und blies in den gemäßigten Zonen Bäume um. Ihre runzligen alten Hände rissen Wolken auseinander und verursachten sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen solchen Ausmaßes, dass Menschen nicht nur ertranken, sondern sogar von den Fluten fortgerissen wurden. Und was der grollende Donner ihrer Stimmen nicht zu Tode erschreckte, das ließ ihr eisiger Blick auf der Stelle erstarren, selbst in Landstrichen, in denen es seit Jahrzehnten keinen Frost mehr gegeben hatte.
    Bislang freilich noch nicht in den North Yorkshire Moors oder irgendeinem anderen Teil der Britischen Inseln, die weiterhin einen ungewöhnlich schönen Vorfrühling erlebten, obgleich die Aussichten für die nächsten Tage immer düsterer wurden, da das extremeWetter nun auch auf die benachbarten Teile Europas übergriff.
    Die Behörden beschlossen, den Jungen vorerst in dem Heim, in das er auf so mysteriöse Weise gelangt war, zu lassen, bis die Nachforschungen zu seiner Person Früchte trugen und eine Entscheidung über seine weitere Zukunft getroffen werden konnte.
    Doch sechs Wochen nach seiner Ankunft traf er die Entscheidung selbst.
    Obwohl körperlich offensichtlich wohlauf, wurde der Junge beinahe zwangsläufig zur Zielscheibe der anderen Kinder, von denen einige ihren Zorn und ihre Aggressionen nur schwer im Zaum halten konnten. Er sprach nicht, reagierte nicht auf den Namen »Jack«, mit dem er gewöhnlich angeredet wurde, und hatte die für andere lästige Angewohnheit, jede Tür und jedes Fenster in seiner Nähe weit aufzureißen, als sei er von einem unwiderstehlichen Drang dazu getrieben. Eines Abends nach dem Essen schnappte sich ein älterer, zehnjähriger Junge, der zusammen mit zwei anderen die jüngeren drangsalierte, im Gemeinschaftsraum den Rucksack des Neuen und zog das Spielzeugpferd heraus.
    Bis dahin hatte der Junge in der ganzen Zeit, die er im Heim verbracht hatte, kein einziges Wort gesagt, geschweige denn etwas Provokatives oder in irgendeiner Form Aggressives. Nun aber erhob er die Stimme.
    »Gib es her«, sagte er bestimmt.
    Der Ältere erwiderte, er werde das Pferd erst zurückgeben, wenn er ihnen seinen Namen verrate.
    »Du hast doch einen, oder?«, spotteten sie.
    Der Junge stutzte, eher überrascht als eingeschüchtert.
    »Aber es gehört mir«, sagte er schließlich, trat vor und streckte die Hand nach dem Pferd aus. Doch der Ältere hielt es in die Höhe, sodass er nicht herankam. Gleichzeitig stellte ihm ein anderer ein Bein. Als er wieder aufstehen wollte, stieß ihn ein Dritter erneut zu Boden.
    Dann fielen alle über ihn her, traten nach ihm, schlugen ihn, schrien auf ihn ein.
    Dann geschah etwas ebenso Ungewöhnliches wie Unerwartetes.
    Der Junge rollte sich zur Seite weg, sprang auf und sah sich imRaum nach einer Waffe um. Doch er fand nur eine zerfledderte Fernsehzeitschrift. Er drehte sie zu einer festen Rolle zusammen.
    Seine Peiniger sahen ihm dabei zu und lachten, als sie begriffen, dass er sich damit verteidigen wollte. Sie kamen langsam näher. Die aufgeheizte Stimmung wurde giftig.
    Wieder lachten sie höhnisch, als der Junge die Zeitschrift wie einen Schlagstock vor sich hinhielt. Vielleicht hätte ihnen der Ausdruck in seinem Gesicht eine Warnung sein sollen, aber er war kleiner als die meisten, trotz seiner kräftigen Statur.
    Hätten sie es verstanden, seine Miene zu deuten, so hätten sie ungewöhnliche Entschlossenheit und Selbstbeherrschung darin gelesen.
    Er rollte die Zeitschrift noch fester zusammen, und seine ruhigen, bedächtigen Bewegungen hatten etwas Einschüchterndes. Nun zögerten sie doch. Zu spät! Wie ein explodierender Feuerwerkskörper ging der Junge auf den ersten und größten seiner Peiniger los. Mit Wucht stieß er ihm das eine Ende der zusammengedrehten Zeitschrift gegen die Gurgel.
    Während der Getroffene vor Schmerz aufstöhnte und würgte, machte der Junge einen Satz zurück und überlegte einen Moment, dann schnellte er wieder vor. Diesmal stieß er dem anderen die Zeitschrift in den Unterleib. Der Schläger sackte zu Boden, bleich vor Schreck, den Mund weit aufgerissen vor Schmerz, und schnappte verzweifelt nach Luft.
    Sofort ging der Junge auf einen zweiten Peiniger los und

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