Der Frühling - Hyddenworld ; 1
rammte ihm die behelfsmäßige Waffe in die Achselhöhle. Der andere griff sich instinktiv an die getroffene Stelle und ließ seinen Solarplexus ungedeckt. Ein weiterer Stoß, und er knickte in der Hüfte ein, kippte langsam nach hinten und schlug mit dem Kopf gegen eine Sessellehne. Die anderen wichen betroffen zurück. Im nächsten Moment stürzte, alarmiert durch das Geschrei und Gestöhne, ein Erzieher in den Raum. Da hob der Junge seelenruhig sein Spielzeugpferd auf und verstaute es in seinem Rucksack.
»Ich heiße Jack«, erklärte er.
Eines seiner Opfer musste in ärztliche Behandlung, das andere mehrere Stunden das Bett hüten.
Die Heimleitung sonderte Jack sofort von den anderen ab und verständigtedas Jugendamt. Der Vorfall war so ungewöhnlich, dass die Beamten vor Ort übergeordnete Stellen einschalteten.
»Und Sie haben wirklich nicht den geringsten Anhaltspunkt, wer er ist? Hat er denn nie jemanden erwähnt, der ihn kennen könnte?« Sie versicherten, dass sie nicht den geringsten Anhaltspunkt hätten, und obwohl Jack jetzt spreche, wolle oder könne er keine Auskunft über seine Herkunft geben.
»Prüfen Sie alles noch einmal gründlich. Wie leicht kann man etwas übersehen.«
So tat man und stellte dabei fest, dass man tatsächlich etwas übersehen hatte.
Es war die rätselhafte Zahl, die neben den Namen Yakob innen auf die Rucksackklappe geschrieben war. Sie wies merkwürdige Abstände zwischen einigen Ziffern auf und hatte bei genauer Betrachtung eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Telefonnummer.
Es war Arthur Foales Nummer.
Sie riefen ihn am folgenden Morgen an.
8
GEBORGTE ZEIT
E twa um dieselbe Zeit an diesem Tag tauchte das weiße Pferd mit Imbolc unversehens aus einem bewölkten Himmel auf. Es landete in einem brachliegenden Feld in Worcestershire. Erde und Gras stoben unter seinen großen Hufen links und rechts auseinander, als es auf der windgeschützten Seite einer Schlehdornhecke, deren weiße Blüten kurz erzitterten und sich dann wieder beruhigten, rutschend zum Stehen kam.
Die Friedensweberin hatte eine schwere Aufgabe, denn zwischen den Welten von Hydden und Menschen gab es viele Konflikte und ihre Lösung war oft schwierig. Doch an diesem Tag strahlten Imbolcs Augen vor Freude über die Ankunft des Riesengeborenen und ihre Begegnung mit Bedwyn Stort einen Monat zuvor. Eine neue Generation übernahm, und alles war so, wie es sein sollte.
Ihre Hand fasste unwillkürlich nach dem Anhänger, den Beornamund, ihre große Liebe, für sie gefertigt hatte, und tastete nach dem letzten verbliebenen Edelstein, dem des Winters. Sie tastete ein zweites Mal und fühlte nichts. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung und dann vor Schreck. Sie zog sich die Kette über den Kopf, um den Anhänger genauer zu betrachten.
Sie schaute angestrengt, befühlte ihn noch einmal, schüttelte den Kopf.
»Oh!«, sagte sie. Mehr nicht.
Der Winter war fort, in den zurückliegenden Wochen irgendwo auf der Welt verlorengegangen. Sie lebte von geborgter Zeit.
»Oh, Beornamund, meine Reise ist fast zu Ende und nun … nun …« Jenseits des Feldes sah sie ein paar Leute nahen, kleine Gestalten in einer Landschaft.
»Dies«, sagte Imbolc, die Friedensweberin, »ist der Beginn meiner letzten Aufgabe, und der wichtigsten. Ob es mir gefällt oder nicht,meine Jahre sind nun bis auf wenige gezählt, und diese wenigen sind von der Zeit zwischen Winter und Frühling geborgt. Ich muss die Schildmaid finden.«
Eine der Gestalten jenseits des Feldes rief: »Müssen wir hier oder da lang, hä? Wir fangen langsam an zu frieren. Entscheide dich endlich!«
Imbolc schmunzelte, denn die Arbeit einer Friedensweberin ist nie getan, nicht einmal, wenn sie von geborgter Zeit lebt.
»An die Arbeit«, murmelte sie.
9
EINE ANFRAGE
W ochenlang hatte Arthur Foale darauf gewartet, dass sein altmodisches Telefon ein zweites Mal klingeln würde und er weitere Neuigkeiten über den Jungen erfuhr. Doch als es endlich so weit war, erhielt er nicht ganz den erhofften Anruf.
Er kam von Roger Lynas vom Jugendamt in North Yorkshire. Der Beamte drückte sich sehr vorsichtig aus. Es gehe um einen bislang nicht identifizierten Jungen, der ihnen Kummer bereite. Arthurs Telefonnummer stehe auf seinem Rucksack und …
Arthur fiel ihm ins Wort und stellte ein paar Fragen.
Die Antworten waren ausweichend. Der Schutz des Jungen, so Roger Lynas, sei ihre oberste Aufgabe, daher sei man an Auskünften interessiert, aber nicht bereit, selbst
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