Der Frühling - Hyddenworld ; 1
Rea weder besonders lang noch breit ist, trägt er beträchtlich zu dem Problem bei. Bei starkem Regen füllt er sich so schnell, dass er ohne die Durchlässe, die Menschen gebaut haben, um ihn im Verborgenen unter der Erde durch das Herz der Stadt zu leiten, über die Ufer treten und die angrenzenden Häuser, Fabriken und Straßen auf beiden Seiten überfluten würde.
Unter normalen Bedingungen erfüllt dieses System seinen Zweck. Doch das Fassungsvermögen des Rea und seines künstlichen Betts ist begrenzt, und manchmal führt er zu viel Wasser und wird zu einer Gefahr. Die Wassermassen fließen nicht mehr natürlich bergab nach Norden und Osten oder zur Seite in die Bäche, die ihn speisen, sondernsie beginnen, sich zu stauen und rückwärts zu fließen, denn wenn es weder vorwärts noch seitwärts weitergeht, versuchen sie, den Weg zu nehmen, den sie gekommen sind.
In den Stunden zwischen Tagesanbruch und Spätvormittag blieben viele Stadtbewohner wach und beobachteten besorgt das Steigen der Pegel. Noch war der kritische Punkt lange nicht erreicht, doch wenn es weiter so regnete, war es nur eine Frage der Zeit, bis es zu ernsten Überschwemmungen kam, voraussichtlich irgendwann im Laufe des Nachmittags.
So kam es, dass sich die Stimmung unter den einfachen Bürgern von Brum einer Massenpanik näherte, während die von den Barmherzigen Schwestern unter Drogen gesetzte Katherine gründlich ausschlief.
Doch als der Tag graute, der Morgen voranschritt, ohne dass der Regen nachließ, und sich immer deutlicher eine Katastrophe abzeichnete, geschah etwas Seltsames. Viele der reichsten und einflussreichsten Bewohner von New Brum, obwohl nervös wie alle anderen, verwöhnten ihre gepflegten und wohlgenährten Körper mit einem duftenden Vollbad und sannen darüber nach, wie sie sich herausputzen und mit Juwelen schmücken sollten für eines der bedeutendsten gesellschaftlichen Ereignisse des Jahres: das Geburtstagsfest von Hochaltermann Festoon Avon, oder Lord Avon, wie er sich selbst ganz unbescheiden betitelte.
Nie zuvor in der langen Geschichte von Brum hatte ein so jämmerliches, korruptes und charakterloses Individuum dieses bedeutende und ehrwürdige Amt bekleidet, oder jemand, der weniger geeignet schien, die Geschicke einer großen Handelsstadt der Hydden zu lenken. In den Augen seiner zahlreichen Kritiker gab es kein sichereres Zeichen für das endgültige Absinken in die Dekadenz, seit die Fyrd die Verwaltung übernommen hatten, als die empörende Tatsache, dass er jetzt die Galionsfigur dieser großen Stadt war.
Eine Tragödie, die umso größer war, als von den sechs Familien, die der Stadt am stärksten ihren Stempel aufgedrückt hatten, zwei die anderen noch bei weitem übertrafen: die Avons im Guten und die Sinistral im Schlechten. Jetzt herrschten die Sinistral von Deutschland aus über die Welt der Hydden, während ihre Marionette Festoon in Brum Schande über den Namen seiner Familie brachte und zumGespött der Fyrd in aller Welt wurde, eine Witzfigur, Gegenstand des Gelächters in komischen Geschichten und Zielscheibe zotiger Lieder und geschmackloser Theateraufführungen in jeder den Hydden bekannten Sprache.
Seine erste Sünde war die Völlerei. Er hatte früh damit begonnen, und wie man sich erzählte, soll er bereits im zarten Alter von fünf Monaten die Mutterbrust zugunsten von Zuckerwerk verschmäht haben, das er seitdem in rauhen Mengen vertilgte.
Er war von so gewaltiger Leibesfülle, dass er Mühe hatte, ohne fremde Hilfe von seinem Stuhl aufzustehen, und in so schlechter körperlicher Verfassung, dass er kaum drei Treppenstufen erklimmen konnte, ohne außer Atem zu geraten, zudem infolge seiner schlechten Gesundheitszustandes so kurzsichtig, dass er die Lorgnette, die er zur Schau trug, niemals aus der Hand legte.
Er hüllte seinen runden Körper in formlose, parfümierte Gewänder aus Seide, Voile und Damast, als sei er – wovon er bisweilen träumte – ein Herrscher aus Arabien.
Aber Kleider und süße Düfte waren nicht das Einzige, wofür er sein riesiges Erbe verschwendete, seit er den Besitz seiner Ahnen übernommen hatte und von den Fyrd zur Marionette gemacht worden war.
Er hatte sein Vermögen in atemberaubender Weise für Ausschweifungen ausgegeben – für sündhaft teuren Flitterkram, gewaltige Mengen luxuriöser Speisen, ausgefallene Vergnügungen sowie für unerschwingliche Lotionen, Maniküren, Pediküren und Massagen, für Musiker und Lustbarkeiten aller Art –
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