Der Frühling - Hyddenworld ; 1
unter seinen Nachfolgern.
Für die Avons brachen glorreiche Zeiten an. Doch der starke Samen der Vergangenheit war unfruchtbar und steril geworden. Die Äste und Triebe des einst mächtigen Stammes waren verdorrt und abgestorben, und geblieben war nur die gewaltige, aber anscheinend morsche Körpermasse Lord Festoons. Er selbst indes war nicht unglücklich über diesen Umbruch.
Heute war sein Geburtstag, und obwohl jeder Wasserlauf in Brum übervoll war und eine Überschwemmung drohte, war er in der Frühe voller Vorfreude und Pläne für diesen Tag aufgewacht.
Gewiss, er lauschte dem Trommeln des Regens und dem Rauschen in den Rohren und bedachte alles noch einmal gründlich, dann aber wischte er alle Bedenken mit der unbekümmerten Bemerkung »Es liegt nicht in meiner Hand« beiseite, schlug die Augen auf, hob den Kopf und setzte hinzu: »Davon lasse ich mir mein Fest nicht verderben!«
Schon vor längerer Zeit hatte er beschlossen, mit der Tradition zu brechen und sein Fest in einem seiner Heiligtümer zu feiern, nämlich in der prächtigen Orangerie. Dieses architektonische Wunderwerk mit seinen Wandbehängen, die in geschickt gelenkten Luftströmen aufs edelste schimmerten, und seinen eigenartigen Paneelen aus Glas und Metall, die einst den Rangierlärm und das Zischen von Dampfzügen fernhalten sollten und heute die Geräusche dämpften, die unsichtbare menschliche Kühlanlagen und Festoons private Percussiongruppe produzierten, zählte zu den Prunkstücken des modernen Brum.
Festoon liebte sie, und er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, sie von Zeit zu Zeit in der Nacht alleine aufzusuchen.
Eine Einladung, in dieser selten zu besichtigenden Orangerie mit ihm Geburtstag zu feiern, konnte man eigentlich nicht ausschlagen, und so kam alles, was Rang und Namen hatte.
Festoons Version von Frühgymnastik bestand darin, unter heftigem Schnaufen die rechte Hand zu heben und an dem Klingelzug neben dem Bett zu ziehen, um seinen Küchenmeister zu rufen, mit dem es die Speisefolge des Tages zu besprechen galt. Anschließend bestellte er seine Ankleidedamen zu sich, zwei stämmige Barmherzige Schwestern und ihre Vorgesetzte, die Oberin Angelina.
Seine Bediensteten zu rufen strengte Festoon so an, dass er danach wieder für kurze Zeit einschlummerte, bis der Erste von ihnen eintraf und seinen Herrn weckte, indem er mit den Fingern über die Saiten der Zither strich, die am Bettende lag.
Der Küchenmeister in Festoons Palast war Parlance, ein dünner und kleingewachsener Koch, der seine geringe Körperlänge dadurch wettmachte, dass er Schuhe mit hohen Absätzen und eine sehr hohe Kochmütze trug.
Er reichte seinem Herrn den heutigen Speisezettel, der daraufhin in andächtigem Schweigen studiert wurde. Die beiden verband tiefergegenseitiger Respekt und die Überzeugung, dass die gastronomischen Bemühungen des Tages ein aufregendes gemeinsames Unterfangen waren.
Schließlich gab Festoon sein Urteil ab. »Mehr Flusskrebse, Parlance, in Limonensud gegart, und von Ihrem Apfelkuchen können wir gar nicht genug haben, heute aber, denke ich, mit gekörntem Zimt bestreut.«
»
Gekörnt,
Mylord?«, fragte Parlance ein wenig verdutzt. Dies wäre in der Tat ein Bruch mit der Tradition.
»Ja, gekörnt. Ich meine das in Bezug auf die Beschaffenheit, als
bestünde
er aus Körnern, was er natürlich nicht tut, wie mir bekannt ist. Sagen wir lieber, es handelt sich um Zimt, der in Teilchen zermahlen ist, die kleiner sind als Körner, aber nicht so fein wie Pulver.«
Parlance bedachte Festoon mit einem bewundernden Blick. Kein ihm bekannter Dienstherr hatte in Feinschmeckerfragen so verblüffend originelle Ideen wie Festoon oder war in der Lage, seine Anweisungen mit so delikater Präzision zu geben.
»Ich könnte mir vorstellen«, fuhr Festoon fort, nachdem er sich ein oder zwei Pralinen gegönnt und sich mit einem Tuch aus Damast die zuckrig glitzernden Lippen abgewischt hatte, »dass der marinierte Ukelei, den Sie letzte Woche in Senf gebraten haben, für unsere heutigen Gäste nicht ganz das Richtige wäre, obwohl ich persönlich diese Zubereitungsart bevorzuge. War es englischer oder französischer Senf?«
»Französischer.«
»Möglicherweise ein Fehler. Versuchen Sie es mit einem pikanteren englischen, und nehmen Sie weniger, leicht mit Zitrone bedampft – und ich meine Zitrone und nicht Limone, denn die verwenden wir schon –, was meines Erachtens jeden Hyddengaumen, der diesen Namen verdient, entzücken
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