Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Der Frühling - Hyddenworld ; 1

Titel: Der Frühling - Hyddenworld ; 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
Vom Netzwerk:
gefälligst etwas mehr Respekt vor Älteren, Höhergestellten und Männern.«
    »Ich bin niemandes Schwester, und Sie sind verrückt«, entgegnete Katherine ungerührt. Langsam fand sie zu alter Selbstsicherheit zurück.
    Doch die hielt nicht lange an, denn jedes Mal, wenn sie im Dunkeln einen genaueren Blick auf einen Gegenstand erhaschte, der vertraut aussah – eine Pflanze, einen Zaun, eine Eisenbahnschwelle –, kam er ihr doppelt so groß vor, wie er eigentlich sein sollte.
    Sie konnte sich keinen Reim darauf machen und sagte sich, dass sie wohl einfach nur erschöpft war oder dass die Schatten ihr die Sinne verwirrt hatten.
    Aber dann gingen sie unter einer Brücke durch, die sie erst vor einer Woche bei einem Spaziergang mit Jack gesehen hatte. Damals war sie ihr normal vorgekommen, doch heute ragte sie über ihr viel höher in die Dunkelheit als in ihrer Erinnerung.
    Das ist doch nicht möglich,
sagte sie sich.
Das ist doch einfach nicht möglich…
    Doch es war möglich, sie wusste es.
    Sie war kleiner. Die Schatten hatten sie in das Henge geschleppt und auf der finsteren Seite wieder hinausgezogen, und irgendwie war sie dadurch in dieselbe Welt geraten, in die Arthur zu gelangen versucht hatte.
    Sie trottete weiter durch die Nacht und versuchte, die Angst zu bezähmen, die in regelmäßigen Wellen über sie hinwegbrandete.
    »Wo bin ich?«, fragte sie irgendwann laut. Niemand machte sich die Mühe zu antworten.
    Was geht hier vor?
    Sie marschierten weiter die Bahngleise entlang, bis ihr wieder die Kräfte schwanden und jeder Schritt zur Qual wurde. Dann beschloss sie, nicht weiterzugehen. Streik wollte sie wieder vorwärtsstoßen, doch sie widersetzte sich.
    »Wohin gehen wir?«, fragte sie.
    Feld kam nach vorn und sah sie scharf an. »Schwester, du hast wacker mit uns Schritt gehalten, aber dämpfe deine Stimme.«
    Es waren die ersten positiven Worte, die sie von ihnen zu hören bekam, und sie spürte den Respekt in seiner Stimme.
    »Wo bringen Sie mich hin?«, fragte sie, leiser diesmal.
    »In die Stadt.«
    »In welche? London?«
    »Brum.«
    »Nie davon gehört.«
    »Die Menschen nennen sie Birmingham.«
    »Wieso nach Birmingham?«
    Die Frage war ebenso an sie selbst gerichtet wie an ihn. Was sollten sie in Birmingham? Überdies war es ein weiter Weg.
    Sie versuchte es mit einer anderen Frage: »Wie?«
    Die Schienen unter ihren Füßen begannen zu vibrieren und zu wimmern. Sekunden später hörten sie einen Zug nahen und zogen sich an den Rand des Bahndamms zurück. Er brauste an ihnen vorbei, ein Luftzug, der ihnen über die Gesichter fegte und die Haare zerzauste.
    »Mit dem Zug«, antwortete Feld. »Wir haben nicht mehr weit zu gehen.«
    Doch ihr kam es sehr weit vor, und bald musste sie beim Gehen auf beiden Seiten gestützt werden.
    Bei Anbruch der Dämmerung wankte sie benommen zwischen stehenden Güterzügen umher, deren Räder mächtig in die Höhe ragten. Sie hatten den Eisenbahnknoten Didcot erreicht.
    »Das ist der nach Brum«, hörte sie jemanden sagen. »Los, hilf mir hinauf …«
    Dann war sie in einem Waggon und wurde auf Säcke gelegt, und weitere Säcke, alle staubig und nach Getreide riechend, wurden über sie gebreitet.
    »Du kannst jetzt schlafen«, sagte Feld.
    Sie schloss die Augen und schlief ein.

49
DAS LAGER
    J ack erwachte vom Motorengeräusch eines Autos. Es kam ihm so nahe vor, dass er erschrocken die Augen aufriss, bereit, zur Seite zu springen. Er lag auf der nackten Erde, und nur trockenes Laub schützte ihn vor der Feuchtigkeit darunter. Jemand hatte eine rauhe, karierte Decke über ihn gebreitet. Als Kopfkissen diente ihm die freiliegende Wurzel eines Baumes, dessen Stamm über ihm emporragte und dessen kahle Äste im kühlen Wind wisperten.
    Sein Schädel pochte, seine Glieder schmerzten wie zerschlagen, und in seinem Kopf wirbelten Erinnerungen durcheinander, die damit endeten, dass Katherine in der Dunkelheit verschwand. Danach nichts mehr.
    Ganz in der Nähe hörte er Leute, die sich vergnügt unterhielten, und beschloss, still liegen zu bleiben und sich erst einmal über seine Lage klar zu werden.
    Dann fiel ihm wieder ein, was in dem Henge geschehen war. Drei Fremde, Hydden, wie er jetzt begriff, hatten ihn vor den Schatten gerettet, die Katherine entführt hatten.
    Bei ihrem Gespräch auf dem White Horse Hill hatte die Friedensweberin zu ihm gesagt, dass Leute auf dem Weg seien, um ihm zu helfen. Das mussten diejenigen sein, die sie gemeint hatte.
    Wieder fuhr

Weitere Kostenlose Bücher